Perfektes Mutterglück

Foto: Equipics

Jedes Züchterherz geht auf, wenn sein Blick auf die Stute mit dem neugeborenen Fohlen fällt. Doch vor der Geburt ist einiges zu beachten. Die Fütterung muss oftmals angepasst werden, beim Impfen und Entwurmen gibt es einiges zu beachten. Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie lang eine Stute denn überhaupt geritten werden darf?

Fragen, auf die der Auktionstierarzt des Hannoveraner Verbandes e.V. und Inhaber einer tierärztlichen Praxis für Pferde, Dr. Frank Reimann, die Fütterungsexpertin und Tierärztin Dr. Julia Mack sowie Prof. Dr. Manfred Coenen, Tierarzt, Buchautor und hochangesehener Experte in Sachen Fütterung, Antworten gesucht haben.

Die Sache mit dem Reiten

Eine schwangere Reiterin steigt irgendwann nicht mehr aufs Pferd. Oft erklären die Reiterinnen im Nachhinein, dass ihr Körper ihnen gesagt hätte, „dass es genug ist“. Doch wie sollte man bei trächtigen Stuten vorgehen? Pferde sind Fluchttiere, die eine relativ hohe Schmerzgrenze haben und Schmerzen oft erst äußern, wenn diese sehr stark sind. Ist also eine Pauschalisierung möglich, wie lange geritten werden kann?

Dr. Frank Reimann betont, dass an erster Stelle bei tragenden Stuten immer das Prinzip der Stressvermeidung steht. „Übermäßige körperliche oder auch psychische Belastungen, wenn etwa völlig neue Dinge vom Pferd verlangt werden, müssen verhindert werden. Bis zum siebten Trächtigkeitsmonat kann eine trainierte Stute nahezu „normal“ geritten werden. Vom Springen rate ich persönlich bei tragenden Stuten aber ab. Auch wenn es in der Frühträchtigkeit bei verschiedenen Freispringwettbewerben praktiziert wird, sollte hier Nutzen und Risiko gegeneinander abgewogen werden“, so der Tierarzt. „Da das Fohlen im letzten Drittel der Trächtigkeit seine maximale Größenentwicklung durchläuft, legt die Mutterstute in dieser Zeit deutlich an Körperumfang zu. Regelmäßiger Auslauf auf Weiden und Paddocks reicht meiner Meinung nach dann komplett aus. Gegen reiterliche Bewegung im Schritt auf Platz oder im Gelände ist allerdings auch dann nichts einzuwenden. In den letzten vier Wochen der Trächtigkeit würde ich aber die Stute nicht mehr longieren oder reiten.“

In größeren Zuchtställen kommt diese Frage jedoch meist nicht auf, da die Stuten ohnehin nicht geritten werden. Sie werden vielmehr von Mai bis zum Absetzen der Fohlen auf der Weide gehalten und gehen danach gruppenweise in Laufställe oder werden in Boxen mit Paddock gehalten. „Diese Zuchtstuten werden nicht geritten oder anderweitig sportlich genutzt“, beschreibt Reimann. „Ich staune nicht selten über zwanzig Jahre alte Stuten mit wenig Muskulatur und Senkrücken, die Jahr für Jahr ein kerngesundes Fohlen zur Welt bringen.“ Dennoch rät er: „Aus meiner Sicht optimaler, aber für größere Zuchtbetriebe kaum praktikabel, ist die regelmäßige Bewegung der tragenden Stute bis zum letzten Drittel der Trächtigkeit. Da aber immer mehr „Quereinsteiger“ mit einer oder zwei Stuten sich der Passion der Pferdezucht und des Pferdesports widmen, sehe ich hier eher die Möglichkeit, der „Stutenfitness“. Eine kontinuierlich trainierte Stute ist aufgrund ihrer erhaltenen Muskulatur und ihres Herz-Kreislauf-Systems einer Weidestute ohne Bewegung unter dem Reiter bei schwierigen Geburtsverläufen überlegen.“

Foto: Schmelzer

Impfung und Entwurmung muss sein

Nicht vergessen sollten Pferdebesitzer im Trubel vor der Geburt, dass regelmäßig notwendige Impfungen dennoch verabreicht werden sollten. Der Plan sollte dabei mir dem zuständigen Tierarzt besprochen werden. Essentiell ist die Impfung gegen Tetanus. „Kleinste Verletzungen können auch in der Geburt zu einer Infektion mit den Wundstarrkrampf-Clostridien führen. Da diese überall vorkommen können und Wundstarrkrampf in den meisten Fällen tödlich endet, sollte die Impfung selbstverständlich sein“, betont Dr. Frank Reimann. Doch auch auf andere Impfungen sollte nicht verzichtet werden, da sich dies sonst im schlimmsten Fall negativ auf die Gesundheit des Fohlens oder auf den Geburtsvorgang auswirken kann.

„Ich denke dabei vor allem an die Influenza (Pferdegrippe)- und Herpes-Impfung“, beschreibt Reimann. „Das Fohlen betritt vor Aufnahme der ersten Stutenmilch, dem Kolostrum, die Welt immunologisch völlig ungeschützt. Das Kolostrum enthält die von der Stute als Impfantwort gebildeten und schützenden Antikörper. Eine gegen Tetanus, Influenza und Herpes geimpfte Stute gibt schützenden Antikörper gegen diese Erkrankungen über die Milch ihrem Fohlen. Dieser passive Impfschutz hält etwa 4 Monate an. Ab dem 5. bis 6. Lebensmonat sollte dann auch die Grundimmunisierung des Fohlens erfolgen.“

Außerdem erklärt Reimann, dass die Impfung gegen das Equine Herpes-Virus dazu beiträgt, Spätaborte zu verhindern. Dies sei sowohl aus tierschutzrelevanten als auch wirtschaftlichen Gründen zu bedenken.

Ebenso sollte auch ein geeignetes regelmäßiges antiparasitäres Management gegen Darmparasiten selbstverständlich sein. „Zum Schutze des Fohlens vor Zwergfaden- und Spulwürmern sollte die Stute kurz vor der Geburt letztmalig entwurmt werden“, rät Dr. Frank Reimann.

Fütterung hochträchtiger Stuten

„Zu Beginn der Hochträchtigkeit ist die Fütterung weitgehend unproblematisch“, erklärt Prof. Dr. Manfred Coenen. „Weidefütterung mit vielseitig zusammengesetztem, nicht zu eiweißreichem Grünfutter, der Aufenthalt in Licht und Luft sowie ausreichende Bewegungsmöglichkeiten stellen die günstigsten Voraussetzungen für eine ungestörte, normale Entwicklung des Fohlens im Mutterleib dar.“

 „Bei tragenden Stuten ist es so, dass ein Mehrbedarf über den Erhaltungsbedarf hinaus erst ab dem letzten Trächtigkeitsdrittel vorliegt, da erst dann der Fötus einen nennenswerten Massezuwachs aufweist“, fügt Dr. Julia Mack hinzu. „Das bedeutet, dass man bei der hochträchtigen Stute zum Erhaltungsbedarf zusätzlich noch den Mehrbedarf für die Trächtigkeit plus eventuelle Zuschläge für Arbeitsleistung oder Haltungsbedingungen, wie zum Beispiel ein kalter Winter im Offenstall, hinzurechnen muss. Wichtig ist dabei, Übergewicht (Body Condition Score größer 6) unbedingt zu vermeiden, da sonst das Risiko für Schwergeburt, Geburtstrehe oder Hyperlipidämie – eine Erkrankung, die vor allem hochtragende Pony- und Eselstuten, die schlagartig wenig oder nichts fressen, betrifft und die potentiell tödlich sein kann – erheblich ansteigt.“

Ab dem siebten Trächtigkeitsmonat steigt der Energiebedarf der Stute um das 1,25 bis 1,4-fache. Der Bedarf an Eiweiß, Phosphor und Calcium sogar um das 1,5-fache des Erhaltungsbedarfs. „Außerdem ist insbesondere auf eine bedarfsgerechte Versorgung mit Jod zu achten. Eine Fehlversorgung führt zu erhöhter Sterblichkeit der Fohlen und Kropfbildung. Auf ausreichend Selen ist ebenfalls zu achten, sonst sind Muskelerkrankungen des Fohlens möglich. Außerdem sollte der Pferdehalter die Kupferversorgung, welche wichtig für die Skelettentwicklung ist, überprüfen lassen“, beschreibt Dr. Julia Mack. „Generell sollte die Ration, egal, ob für tragende oder säugende Stuten bedarfsgerecht sein, wobei grundsätzlich die Verträglichkeit der Ration Vorrang vor der Bedarfsdeckung hat. Eine gewisse Mobilisierung von Mineralstoffen aus dem Skelett vor der Geburt ist physiologisch und ganz normal.“

Gegen Ende der Trächtigkeit ist auf die ausreichende Versorgung mit Natrium zu achten, da sich bei einem Mangel der Abgang des Darmpechs beim Fohlen verzögern kann. Eine Überversorgung mit Jod ist in dieser Phase dagegen gefährlich und kann zu Störungen in der Skelettentwicklung des Fohlens und der Bildung eines Kropfs führen.

Das in der späten Phase der Hochträchtigkeit gefütterte Ergänzungsfutter sollte so gewählt werden, dass es auch nach der Geburt während der Laktation weiterhin gefüttert werden kann.

 

Foto: Equipics

Füttern vor und nach der Geburt

Kurz vor der Geburt sollte die Futtermenge von 2 kg Raufutter pro 100 kg Körpergewicht auf ca. 0,5 bis 1 kg Raufutter pro 100 kg Körpergewicht gedrosselt werden. So ist der Verdauungstrakt bei der Geburt nicht überladen. „Vor allem kurz vor der Geburt fressen viele Stuten nur noch wenig Raufutter, weil das Fohlen im Bauch zu viel Platz einnimmt - hier sollte dann auch nicht durch sehr große Kraftfuttermengen versucht werden, die geringere Energieaufnahme zu kompensieren“, erklärt Dr. Julia Mack.

Etwa drei Tage nach der Geburt sollte die Fütterung wieder dem steigenden Bedarf während der Laktation angepasst werden. Heu sind pro Tag mindestens 1,5 kg pro 100 kg Körpergewicht anzusetzen. Hinzu kommt Kraftfutter. Angesetzt werden etwa 1,2 bis 1,5 kg pro 100 Körpermasse. „Das Kraftfutter sollte vielseitig zusammengesetzt sein und mit ausreichenden Gehalten an essentiellen Aminosäuren, Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen ausgestattet sein“, so Prof. Dr. Manfred Coenen. Besonders wichtig ist die ausreichende Versorgung mit essentiellen Aminosäuren wie Lysin und Methionin, da sonst die Milchleistung und der Milcheiweißgehalt gesenkt werden.

Traurige Momente

Auch wenn Geburten bei Pferden meist völlig unproblematisch verlaufen sollte dennoch der Tierarzt verständigt werden, wenn eine Stute im Verlauf der Zeit keinerlei Anzeichen einer Trächtigkeit (mehr) zeigt. Ein offensichtliches Symptom ist, dass die Leibesfülle gleichbleibt. Auch können wiederholt und regelmäßig Rossesymptome auftreten. „Die durch den Tierarzt durchgeführte Trächtigkeitsuntersuchung gibt Aufschluss, ob die Stute noch tragend ist“, erklärt Dr. Frank Reimann. „Zeigt die Stute Scheidenausfluss, vorzeitige Euteranbildung und Milchfluss oder einen extrem vergrößerten Leibesumfang, muss der Tierarzt ebenfalls und in diesem Fall wirklich sofort konsultiert werden. Denn dann geht es wirklich um Minuten. Eine krankhafte Störung der Trächtigkeit mit Verfohlen steht häufig bevor. 25% der Aborte sind infektiösen Ursprungs. Als Erreger können Viren, namentlich das Equines Herpes-Virus „EHV“ und Equine Virusarteritis „EVA“, Bakterien wie zum Beispiel ß-hämolysierende Streptokokken und E. coli sowie Pilze etwa bei Aspergillose verantwortlich sein.  Als nichtinfektiöse Ursache steht die nicht diagnostizierte Zwillingsträchtigkeit an erster Stelle. Außerdem sind Fehlbildungen der Nabelschnur, Eileiterträchtigkeiten und Störungen der Funktion des Mutterkuchens möglich.“7

Wenn die Erkrankung rechtzeitig erkannt wird, ist es möglich, dass der Tierarzt medikamentös und hormonell eine Trächtigkeit erhalten kann. Dennoch ist die Prognose ist aber generell sehr ungünstig. Die Gesundheitserhaltung der Stute – und wenn noch möglich – des Fohlens werden jedoch von jedem Veterinär in den Mittelpunkt gestellt und dementsprechend gehandelt, so Reimann.

Kommt das Fohlen in den nächsten 24 Stunden? Indikator-Teststreifen können Aufschluss geben. Foto: Equipics

Terminvorhersagen

Pferde weisen eine große Variabilität der Trächtigkeitsdauer auf. Normalerweise liegt sie zwischen 320 und 360 Tagen. Deshalb ist eine genaue Vorhersage des Geburtstermins schwierig.

„Ein Unterschreiten auf 305 Tage und Überschreiten bis hoch zu 375 Tagen ist bei Geburt normal ausgereifter Fohlen jederzeit möglich“, betont Dr. Frank Reimann. „Ein Überschreiten wird häufiger im Winter und kalten Frühjahr beobachtet.“

Die Ausbildung des Euters mit den sogenannten Harztropfen ist der deutlichste Hinweis der bevorstehenden Geburt. „Hat die Stute in dieser Phase frühzeitigen Milchfluss, muss die Milch, das Kolostrum, aufgefangen und eingefroren werden. Das Kolostrum ist für das neugeborene Fohlen wie bereits erwähnt (über-)lebenswichtig. Bei Bedarf kann es wieder aufgetaut werden. Um Antikörper nicht zu zerstören erfolgt ein langsames Auftauen. Mikrowellengeräte und Heißwasserbäder dürfen dabei nicht zum Einsatz kommen“, stellt Reimann klar.

Mittels Indikator-Teststreifen kann der Geburtstermin innerhalb der nächsten 24 Stunden vorhergesagt werden. „Möglich ist dies durch den veränderten Kalziumgehalt der Milch vor der Geburt. Nachteilig ist dafür das wiederholte Anmelken der Stute. Das kann zu unnötigen Kolostrumverlust und zu Euterinfektionen führen“, so Reimann.

Geburtsüberwachung

Seit es die Möglichkeit gibt, Geburten mit allen Möglichkeiten der modernen Technik zu überwachen, kann ein deutlich schnelleres Eingreifen des Tierarztes gewährleistet werden. Auch Dr. Frank Reimann befürwortet die modernen Methoden. „Die Überwachung der Stute zur Geburt ist aus tierärztlicher Sicht äußerst sinnvoll. Zwingend notwendig ist sie, wenn in Jahren zuvor Geburtskomplikationen wie Schwergeburten durch Fehllagen des Fohlens, Totgeburten oder Erkrankungen in der Trächtigkeit auftraten“, beschreibt der Experte. „Da das Pferd von Natur aus ein Fluchttier ist, fohlt die Stute am liebsten ohne menschliche Nähe. Das direkte Übernachten und Überwachen im Stall kann sich so endlos in die Länge ziehen. Meistens fohlt die Stute dann, wenn der Besitzer kurzfristig den Stall verlässt. Hier setzen unsere Überwachungssysteme an, die der Stute eine stressfreiere Geburt ermöglichen und dem Pferdehalter zudem die Möglichkeit geben, dabei zu sein und gegebenenfalls einschreiten zu können.“

Die meisten Fohlen kommen tatsächlich zwischen 21 Uhr und 3 Uhr nachts zur Welt. Genau dann, wenn im Stall Ruhe eingekehrt ist und kaum noch Personen unterwegs sind. Im Trubel des täglichen Ablaufs im Stall kommen nur wenige Fohlen zur Welt.

Am häufigsten nutzen Pferdebesitzer nach den Erfahrungen von Dr. Frank Reimann die Überwachung per Video. Er hat auch einen speziellen Tipp parat. „Die aus meiner Sicht optimalste Form der Videoüberwachung erfolgt mit einem Babyphon für Kinder mit einer Reichweite von 300 Metern. Da das Video- und Audiosignal gekoppelt ist, entfällt das stündliche Wecker stellen“, so Reimann.

Eine weitere Möglichkeit sind Geburtsmelder. Rein äußerlich sehen sie wie Longiergurte aus und sind mit Sensoren ausgerüstet, die die Hautfeuchtigkeit, die Körpertemperatur oder die Veränderung der Körperlage registrieren und einen Alarm an den Empfänger senden. Dennoch gibt es zu bedenken, dass die Züchter bei ihm trotz des technischen Fortschritts häufig von Fehlalarmen berichten. Kein System funktioniert 100 Prozent fehlerfrei, doch ermöglicht die Überwachung dennoch eine große Unterstützung beim Geburtsvorgang.

„Meiner Meinung zufolge ist das sicherste System ‚das Scheiden-Kontrollsystem‘“, beschreibt Dr. Frank Reimann. „Dabei wird ein Sender an die Schamlippen der Stute fixiert. In der Eröffnungsphase der Geburt, wird der auslösende Magnet vom Sender getrennt und löst den Alarm aus. Da dieser Alarm beim Austritt der Fruchtblase aktiviert wird, ist dann aber Eile geboten.“

Bei allen technischen Möglichkeiten sollte immer bedacht werden, dass es lediglich bei vier bis sechs Prozent aller Geburten zu Problemen kommt. Übergroße Nervosität muss also nicht sein, ein gesundes Maß an Vorsicht und Aufmerksamkeit ist sinnvoll. Wer jedoch die Empfehlungen der Tierärzte beachtet, kann sich in den allermeisten Fällen über ein gesundes und munteres Fohlen freuen, das bald schon mit seiner Mutter über die Weide springt, betont Dr. Frank Reimann.

Zum Seitenanfang