Vom Körkandidaten zum Spitzenvererber: Der Weg der Hengste

Am ersten Körtag werden alle hengste auf dem Pflaster vorgeführt. (Fotos: Lafrentz / Equipics / Slawik)

Zucht und Reitsport rücken dichter zusammen. Immer mehr Reiter betreiben auch eine Hobbyzucht oder verfolgen den Wunsch, aus ihrer Lieblingsstute einen Nachkommen zu ziehen. Doch zur Zucht gehören natürlich auch die Hengste. Wir haben mal einen Blick auf den Weg der Hengste vom Fohlen bis zum Spitzenvererber geworfen.
 

Wenn ein Hengstfohlen geboren wird, stellt sich irgendwann die Frage – kastrieren oder Hengst lassen? Hat das Fohlen Potenzial, zur Körung zugelassen zu werden, sollte dieser Weg offengehalten werden.

„Ich versuche mir so früh wie möglich ein Bild von vielversprechenden Hengstfohlen zu machen“, erklärt Dr. Axel Brockmann, Landstallmeister am Niedersächsischen Landgestüt in Celle. Brockmann wird von seinen Mitarbeitern auf den Stationen des Gestüts auf interessante Fohlen hingewiesen und inspiziert dann vor Ort Fundament und den Bewegungen der Pferde, bei Springnachkommen achtet er außerdem besonders auf die Veranlagung des Mutterstamms. Weitere entscheidende Merkmale sind die Ausprägung der Hoden, die Hufstellung und das Gebiss. „Leider ist häufig ein Überbiss Ausschlusskriterium“, führt der Landstallmeister weiter aus. „Ich achte in erster Linie auf das Gebäude und die Grundgangarten, wenn ein Fohlen eine außergewöhnliche Mutter hat, ist der Typ für mich auch mal zweitrangig“, sagt Hengsthalter René Tebbel aus Emsbüren. Damit die Pferdezucht in Deutschland nur mit den besten Hengsten erfolgt, werden die Jungpferde in den verschiedenen Zuchtverbänden vorselektiert und gekört. „Ich empfehle, die bereits die Jährlinge einmal röntgen zu lassen, um eventuelle Chips frühzeitig zu erkennen und entfernen zu lassen“, sagt Sören Schulze, erfahrener Hobbyzüchter aus Isernhagen. Wenn die Hengste dann zweijährig sind, erfolgt die Selektion in Wallache und Hengste.

Grundgangarten und Körperbau werden bereits bei Fohlen in Augenschein genommen.

Erstes Röntgen als Jährling


Das Landgestüt Celle kauft jährlich zwischen 40 und 50 Hengstfohlen, von denen etwa zehn Prozent die Körung erhalten. „Die erste Entscheidung wird nach dem ersten Freispringen zweijährig getroffen und dann gucken wir uns die Pferde noch mal dreijährig an. Aber Selektion klingt immer als seien die Hengste, die nicht zur Körung kommen, schlechte Pferde, das stimmt so nicht. Ich gucke auch immer im Hinblick auf potenzielle sportliche Erfolge“, führt Tebbel aus, dessen Kinder Justine und Maurice auf internationalem Topniveau reiten. 

Die Tiere, die zur Körung gebracht werden sollen, werden im Mai/Juni von der Weide geholt und langsam ins Training aufgenommen. Bei den Auswahlterminen zur Körung, die zwischen August und Oktober stattfinden, müssen die Anwärter Schritt, Trab und Galopp an der Longe und im Freilauf zeigen und die Springnachkommen müssen erste Sprünge im Freispringen absolvieren. Eine Besonderheit bietet der Trakehner Verband, hier müssen alle Pferde, die auf eine Körzulassung hoffen, auch freispringen. Die Vorauswahl der Hengste wird von Mitgliedern der Körkommission übernommen, dabei werden Exterieur und Bewegung unter die Lupe genommen. Die Körkommission des Hannoveraner Verbandes beispielsweise wählt etwa 100 Hengste aus, die dann zur Hauptkörung im Herbst zugelassen werden. In Vechta beim Oldenburger Pferdezuchtverband werden bei der Hengstvorauswahl etwa 350 Zweieinhalbjährige vorgestellt, aus denen die Kommission etwa 70 Kandidaten auswählt. Der Zeitpunkt der Auswahltermine und Körungen ist von Zuchtverband zu Zuchtverband unterschiedlich.

 

Großer Auftritt - Hengstkörung

 
Ist die Zulassung erteilt, muss ein tierärztlicher Bericht samt Röntgenaufnahmen eingereicht werden. Wird hier ein Chip festgestellt, reichen die sechs bis sieben Wochen bis zum Körtermin nicht für die Entfernung samt Genesung aus. Darum der Tipp, die Jährlinge bereits auf Chips untersuchen zu lassen.
 
Die Körung ist das Prädikat für zur Zucht geeignete Vatertiere. Sie ist die erste Hürde für jeden Hengst und ist gestaffelt in mehrere Teile. Die Körung an der Hand erfolgt im Alter von zweieinhalb Jahren oder im darauffolgenden Jahr im Alter von drei Jahren unter dem Reiter. Die Zulassungsbestimmungen variieren in den Verbänden, einige Eckpunkte sind jedoch gesetzt:
 
 - Das Mindestalter des Hengstes muss zwei Jahre betragen.
 - Der Hengst muss an einer Hengstvorauswahl teilnehmen, die über die Zulassung zur Körung entscheidet.
 - Der Hengst darf keine gesundheitlichen Mängel aufweisen, die den Zuchtwert beeinträchtigen.
 
Der eigentliche Termin findet traditionell in den letzten Monaten des Jahres statt. Er dauert mehrere Tage und beginnt mit dem Gesundheitscheck und der Pflastermusterung. Dabei werden die Junghengste – wie es der Name bereits vermuten lässt – auf einer gepflasterten Strecke vorgemustert und beurteilt, dabei wird im Besonderen auf die Hufstellung und die Gelenkbeschaffenheit geachtet.


Der Ablauf ist dann je nach Verband unterschiedlich, zu den Anforderungen gehören in der Regel Freilauf, Freispringen und Longieren. Dabei werden Bewegungsablauf, Springmanier, Fundament, Exterieur, Typ und Gesamteindruck beurteilt. Im Anschluss erfolgt das Körurteil. „Ich halte das Verfahren der deutschen Zuchtverbände für sinnvoll, denn eine Beurteilung der Pferde an der Hand und im Freilauf lassen weniger Manipulationen durch den Reiter zu. Hier kann die Beurteilung der natürlichen Veranlagung erfolgen. Über alles Weitere geben die Ergebnisse der Hengstleistungsprüfungen später Aufschluss“, sagt Dr. Brockmann. Beim Hannoveraner Verband erhielten im Oktober 2020 von 77 vorgestellten Dressur- und Springhengsten nur 42 ein positives Körurteil. Erst im Anschluss erfolgt ein Bluttest, bei dem Dopingverstöße festgestellt werden. In der Vergangenheit kam es an diesem Punkt immer mal wieder zu einer Aberkennung des Körurteils. Zudem besteht die Möglichkeit, Hengste, die noch etwas mehr Zeit brauchen, dreijährig bei der Sattelkörung vorzustellen. Hier werden sie nicht nur im Freilauf und an der Hand vorgestellt, sondern auch unter ihrem eigenen sowie einem Fremdreiter. „Jeder Hengst hat sein eigenes Tempo und sollte auch entsprechend eingesetzt werden, darum ist es wichtig, dass jeder Halter für jedes Tier individuell entscheidet, welcher Weg der richtige ist. Das Tierwohl muss dabei immer an erster Stelle stehen“, macht der Landstallmeister deutlich. „Mir würde es am besten gefallen, wenn die Körungen dreijährig mit dem bestehenden System durchgeführt werden. Eine Bewertung unterm Sattel bedeutet für die Pferde viel Training und Einflussnahme“, äußert sich Hengsthalter René Tebbel.

Die zweijährigen Hengste werden im Mai/Juni von der Weide geholt und auf die Körung vorbereitet.

In der Regel findet im Anschluss an die Körung eine große Auktion mit allen gekörten und nichtgekörten Hengsten statt. Die Besitzer oder neuen Käufer nehmen die Pferde mit und bereiten sie auf die anstehende Hengstleitungsprüfung (HLP) vor. Nichtgekörte Hengste können durch Ablegen der Hengstleistungsprüfung in das Hengstbuch I aufgenommen werden und können so ebenfalls in den Deckeinsatz genommen werden. Die gekörten Hengste können nun auch von anderen Verbänden anerkannt werden und somit in den unterschiedlichen Zuchtgebieten zum Einsatz kommen.
 
„Einige Züchter haben die Hengstleistungsprüfung umgangen, indem sie ihre Hengste in Tschechien anerkennen lassen haben. Dieser Weg ist jetzt nicht mehr möglich“, so Sören Schulze, der seit Jahren auch als Brennbeauftragter für den Oldenburger Pferdezuchtverband aktiv ist. Wenn das Vatertier keine Leistungsprüfung abgelegt hat, werden seine Nachkommen nicht zur Körung zugelassen. „Das ist eine Tatsache, die einigen Zuchtneulingen oft nicht klar ist. Und dann werden große Augen gemacht“, so Schulze. 

 

Hengstleistungsprüfungs-Dschungel


 
Das HLP-Konzept sieht seit 2016 verschiedene Wege des Leistungsnachweises vor, die Veranlagungsprüfung oder auch 14-Tage-Test genannt, die Sportprüfung und die Hengstleistungsprüfung, auch 50-Tage-Test genannt. Außerdem gibt es noch die Turniersportprüfungen, also die Anerkennung von Erfolgen in Prüfungen der Klasse S, der Teilnahme an einem Bundeschampionat, der Teilnahme an einer Weltmeisterschaft der Jungen Dressur-/ Springpferde oder einer Rangierung in der ersten Hälfte des Finals bei einer WM der Jungen Vielseitigkeitspferde. Welchen Weg der Hengst einschlagen soll, entscheidet der Besitzer.

Alle Köranwärter müssen tierärztlich untersucht sein - inklusive Röntgenaufnahmen.

Für alle springbetonten Hengste gehört das Freispringen zur Körung.

Wenn das Pferd den 14-Tage-Test im Frühjahr nach der Körung absolviert, darf es ein Jahr lang im Deckeinsatz uneingeschränkt genutzt werden und muss dann nur noch im darauffolgenden Frühjahr zum Sporttest. Inhalte dieser Prüfung für Drei- und Vierjährige sind die Überprüfung der Grundgangarten, der Rittigkeit und des Freispringens. Die Anforderungen für Dressur- und Springhengste sind hierbei gleich, die Prüfung erfolgt aber in unterschiedlichen Durchgängen. Der Test beginnt mit der Beurteilung unter dem eigenen Reiter, dann übernimmt ein Stationsreiter und im Anschluss gibt es noch einen Fremdreiter-Test. Dann geht es zur Beurteilung des Freispringens. Die Abschlussprüfung besteht aus einer erneuten Beurteilung des Freispringens, der Grundgangarten und der Rittigkeit diese werden insbesondere unter einem zweiten Fremdreiter bewertet. 
 Wenn ein Hengst den 50-Tage-Test im Herbst im Jahr nach seiner Körung absolviert, müssen keine weiteren Prüfungen mehr erfolgen und er kann uneingeschränkt in den Deckeinsatz. Diese HLP für sier- bis siebenjährige gekörte und nicht gekörte Hengste wird nach Disziplinen getrennt beurteilt. Diese erfolgt mit dem Alter der Tiere angepassten Anforderungen. „Man kann natürlich auch schon einen Hengst in seinem ersten Jahr vor der HLP decken lassen, die Prüfung wird dann rückwirkend anerkannt. Fällt er in der Prüfung durch, kann es dann aber natürlich sein, dass ich ein Fohlen habe, das selbst nicht zur Körung zugelassen wird“, erklärt Schulze.
 

Hengste im Härtetest


Der Zweck der Prüfungen ist eine Selektion von Zuchttieren, also eine Leistungsermittlung, um die Pferde herauszufiltern, die zur Zucht eingesetzt werden sollten, umso ein möglichst gutes Zuchtergebnis zu erzielen. „Meiner Meinung nach müssten die Pferde, die bei der Prüfung die besten Ergebnisse erzielt haben, auch am meisten für die Zucht eingesetzte werden“, sagt Dr. Brockmann. Um eine Vergleichbarkeit der Prüfungen herzustellen, haben die Zuchtverbände gemeinsam mit der Deutschen Reiterlichen Vereinigung eine Standardisierung von Prüfungsabläufen und Umweltbedingungen in Form der HLP-Richtlinien erarbeitet. Die FN koordiniert die Hengstleistungsprüfungen der deutschen Reitpferdezuchten.
 
Die HLP wird auch Stationsprüfung genannt, weil die Anwärter 50 Tage lang auf der Prüfungsstation geprüft werden. Diese Prüfungen erfolgen mit disziplinspezifischen Schwerpunkten. Die Bewertungskommission ist über die gesamte Dauer involviert, um sich laufend Eindrücke von der Entwicklung der Pferde zu verschaffen, welche am Ende in das Gesamtergebnis einfließt. „Der 50-Tage-Test ist für mich der wichtigste. Wir lassen die Pferde vorher auf zwei Turnieren starten und melden sie dann vierjährig zur Prüfung an“, führt Tebbel aus. Die Leistungen werden an das Alter angepasst und entsprechend bewertet. Werden die geforderten Leistungen nicht erfüllt, wir der Hengst von der nächsten Prüfung ausgeschlossen.
 
Die Sportprüfungen werden über einen Zeitraum von drei Tagen absolviert und finden in den Monaten Februar bis März statt. Außerdem finden im April Nachholtermine statt, die vorrangig für die Hengste sind, die aus gesundheitlichen Gründen die Prüfung wiederholen oder nachholen müssen. Sie müssen an dieser Sportprüfung sowohl vier- als auch fünfjährig teilnehmen. Die drei Tage dürfen dabei nicht unterbrochen werden und somit dürfen die Hengste die Station nicht zwischendurch verlassen. Bei den Sportprüfungen werden Rittigkeit, Grundgangarten, Springeignung, Interieur und Gesamteindruck bewertet.

Die Exterieurbewertung ist Bestandteil der Körung.

Die Körkommission beurteilt alle Köranwärter nach den Vorgaben ihres Zuchtverbandes.

Hengstschauen – Tradition und Faszination

 

Februar ist traditionell der Monat der Hengstschauen. Gestüte und Deckstationen aus dem ganzen Land präsentieren ihre Hengste der Öffentlichkeit – auch in Zeiten von Clipmyhorse immer noch ein Pflichttermin für die meisten Pferdezüchter. „Es geht darum, den Hengst zu erleben, es geht um Emotionen, aber auch um den Austausch mit Kollegen“, erklärt Dr. Axel Brockmann. Während einer Hengstschau soll der Funke überspringen und die Weichen für den kommenden Fohlenjahrgang werden gestellt. Mit Musik und Lichtshows werden die Junghengste und Starvererber in Szene gesetzt, da darf es ruhig auch mal ein bisschen mehr sein. Vieles in der Sportpferdezucht ist Berechnung und beruht auf Zuchtwerten, Nachkommenleistungen und Erfolgen, doch besonders das Bauchgefühl sollte dabei nicht auf der Strecke bleiben. Aus diesem Grund sind die Schauen immer gut besucht. „Manchmal ist es nur ein Blick des Pferdes, der am Ende für die Entscheidung ausschlaggebend ist“, verrät Dr. Brockmann. In diesem Jahr werden viele Schauen ausfallen oder nur online stattfinden. Das Landgestüt Celle plant, den Termin auf April zu schieben, um den Züchtern die Möglichkeit des persönlichen Kontakts zu geben.

Nur Hengste mit absolvierter Hengstprüfung bekommen die Deckfreigabe.

 

Deckgeschäft oder Sport

 

Noch vor 40 Jahren wurden Deckhengste nicht oder kaum im Sport präsentiert, ihre Aufgabe war die Zucht. Heute sind es vor allem die Sporthengste, die bei den Züchtern gefragt sind. Neben den Zuchtprüfungen sind es die Sportergebnisse, für die sich Züchter interessieren. „Die Sportergebnisse sind für mich und viele andere Züchter wichtiger als die Ergebnisse aus den Hengstleistungsprüfungen, auch wenn es nicht immer einfach ist, Sport und Deckgeschäft unter einen Hut zu bekommen“, berichtet René Tebbel.  Für den Hengsthalter bedeutet das zusätzlichen Aufwand, so muss zum Beispiel ein Reiter bezahlt werden, der den Hengst auf Turnieren vorstellt. Damit sind natürlich auch zusätzliche Kosten verbunden. Außerdem darf der Spagat zwischen Sport und Deckeinsatz nicht unterschätzt werden, zwar ist es dank moderner Besamungstechnik und Tiefgefriersperma vieles leichter, doch bedeutet der Deckeinsatz eine hohe körperliche Belastung für das Pferd. „Nicht alle können damit gut umgehen, dadurch kommt es immer wieder zu Problemen mit Stuten auf Turnieren. In der Decksaison können dann schon mal die Hormone verrücktspielen“, weiß Dr. Brockmann aus Erfahrung. Über Monate sechsmal in der Woche auf das Phantom zu springen, beansprucht zusätzlich die Gelenke, Sehnen und Bänder. Nicht selten kommt es im Überschwang der Leidenschaft zu Zerrungen, die dann wiederum Auswirkungen auf die Leistung als Sportpferd haben. „Jeder Hengsthalter sollte sich genau überlegen, wann und wie er sein Pferd einsetzt, um möglichst lange Freude am Tier zu haben“, mahnt Sören Schulze.

 

Tierschutzgedanke

 

Im Oktober wurde eine neue „Leitlinien Tierschutz im Pferdesport“ veröffentlicht, die auch die Zucht berührt. Der Zuchtbeirat der FN tagte im November bereits zu dem Thema, um neue Konzepte für die Zukunft der Körung zu diskutieren. Beschlossen wurden jedoch nichts. Im Wesentlichen ging es um den Punkt der Leitlinien, der besagt, die Ausbildung der Pferde dürfe frühestens im Alter von 30 Monaten beginnen. Dies würde das aktuelle Körverfahren nicht zulassen.

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