Verladetraining - Das Abitur fürs Jungpferd

Beim Verladetraining ist Vivian Gabor ein ebener, rutschfester Boden und ein umzäunter Platz wichtig. (Fotos: Schrader)

Ein Pferd zu verladen klingt im ersten Moment nicht schwer. Halfter drauf und los geht’s! Doch so leicht ist es in den meisten Fällen leider nicht. Wir waren bei Trainerin Dr. Vivian Gabor im Institut für Verhalten und Kommunikation (IVK) in Einbeck und haben ihr beim Verladetraining mit ihrer sechsjährigen Stute Alizé über die Schulter geschaut.

 

Der Sand knatscht unter den Füßen während Vivian Gabor sich auf den Paddock ihres Laufstalls begibt. Sie hält Ausschau nach der pechschwarzen Stute namens Alizé. Nach kurzer Zeit kann sie die lilane Decke auf dem Pferd mit dem 1,65 Meter Stockmaß erkennen. Alizé spitzt bereits gespannt ihre Ohren und macht ein paar Schritte auf Gabor zu. Die Ringe des Halfters klappern, als sie über die Pferdeohren streifen. Kurze Zeit später machen sich die beiden auf den Weg zum Putzplatz. Die Decke wird vorsichtig abgezogen, das Fell mit langen, ruhigen Bewegungen abgebürstet und die Hufe gründlich ausgekratzt. Dann wird Alizé eine Art Knotenhalfter angezogen und der Gang zur Halle beginnt.


Hilfe bei Problemen

 

Vor ein paar Jahren gründete Vivian Gabor das IVK – Institut für Verhalten und Kommunikation. Dort leitet sie in regelmäßigen Abständen Kurse und Seminare. Den Ausbildungsbetrieb selbst hat die 39-Jährige bereits 2011 gekauft und umgebaut. „Aus einem alten Schweinemastbetrieb habe ich einen Laufstall gebaut, in dem ungefähr 15 Pferde Platz haben“, erzählt sie. Außerdem verfügt der Hof über mehrere Gastboxen, in denen die Teilnehmer ihre Pferde unterstellen können. „Ich habe erst Biologie in Tübingen in Süddeutschland studiert – da komme ich her. Dann bin ich nach Göttingen gegangen, um Pferdewissenschaften im Master zu studieren“, beginnt Gabor mit ihrem beruflichen Werdegang. Anschließend blieb sie an der Universität und promovierte im Lernverhalten von Pferden. Heute ist sie, neben ihrer Selbstständigkeit als Trainerin und Referentin im Bereich Pferd, Mensch, Kommunikation, dort immer noch tätig als Dozentin. „Ich habe mir auf die Fahne geschrieben, den Menschen und den Pferden in Problemsituationen zu helfen“, fasst sie ihre Arbeit zusammen. „Und vor allem den Menschen zu vermitteln: Wie kann ich mein Pferd artgerecht ausbilden und auf bestimmte Situationen vorbereiten? Wie kann ich das Lernverhalten effektiv nutzen?“ Dabei legt Gabor den Schwerpunkt auf die Körpersprache und die Sicherheit von Tier und Besitzer. „Und dass alles vor dem Hintergrund der natürlichen Form des Pferdes.“

Die sechsjährige Rappstute Alizé ist erst seit kurzem Teil von Vivian Gabors tierischem Team.

Auf zum Anhänger

 

Mit zögerlichen Schritten betritt Alizé die Halle. Ihr Blick ist auf den Anhänger gerichtet. In ihrer Bewegung nach vorne liegt Neugier, aber auch ein wenig Zurückhaltung. Vivian Gabor schenkt der Unsicherheit ihrer Stute keine Beachtung. Sie öffnet sie Bandentür und tritt selbstsicher auf den Sandboden der Halle – geradewegs auf den Anhänger zu. Alizé folgt ihr, vertraut auf Gabor. Kurz vor der geöffneten Anhängerklappe wendet Gabor nach links ab, wird ein wenig schneller. „Komm“, macht sie die Stute mit ruhiger, aber bestimmter Stimme aufmerksam. Dann bleibt sie abrupt stehen, ebenso Alizé. „Gutes Mädchen“, lobt sie und beginnt das schwarze Fell sanft mit dem Stil der Gerte zu streicheln. Erst am Hals, über den Rücken zum Bauch und schließlich auf der Kuppe. Die Stute senkt den Kopf. Sie scheint entspannt. Dann führt Gabor ihren Schritt fort, immer wieder schneller, dann wieder langsamer, dann bleibt sie wieder stehen. Nach einigen Runden beginnt sie, Alizé seitwärts zu führen, immer wieder mit den Entspannungspausen zwischendurch. Die Aufmerksamkeit des Vierbeiners liegt voll und ganz bei Gabor. Dann geht es wieder vorwärts, dieses Mal geradewegs auf den Anhänger zu. Alizé spitzt die Ohren und blickt gespannt in das Innere des Anhängers.

 

Das Anhängertraining

 

„Bevor es an das Anhängertraining geht, gibt es einige Bodenarbeitsschritte, die im Vorfeld geübt werden können“, beginnt Vivian Gabor vom Training mit den Pferden. „Das Verladen ist eine Stresssituation an sich. Es sollten dem Pferd also alle Komponenten – Enge, Bewegung, Geräusche, Alleinsein – im Vorfeld in sicherer Umgebung bekannt gemacht werden.“ Stellen sich später beim Verladen neue Probleme heraus, können diese jederzeit über Bodentraining gelöst werden. Ist dieser erste Schritt getan, gilt es, den Anhänger sicher zu positionieren. „Mir ist es wichtig, dass der Anhänger zum Trainieren an einer sicheren Stelle steht. Diese sollte ebenerdig und eingezäunt sein. An einer Straße oder auf freiem Gelände verlade ich nur in Notfallsituationen.“  Der Anhänger sei stets als Bodenarbeitshindernis zu sehen, weshalb der Ort des Trainings auch für Bodenarbeit genutzt werden können solle. „Dann ist es beim Verladen, ob beim Training oder im Ernstfall, schon wichtig, dass eine andere Person in der Nähe ist, falls etwas passiert. Ich halte aber nichts davon, wenn mehrere Personen auf das Pferd einwirken“, stellt Gabor klar. Das Tier könne nur auf einen Kommunikationspartner achten. Außerdem sei die Stresssituation sowieso schon sehr hoch. Wirken dann zusätzlich mehrere Menschen Druck sowohl auf das Pferd als auch auf den Verladenden aus, verliere das Pferd an Sicherheit. Die Folge könne Verweigerung oder gar Panik sein.

Beim Training mit dem Pferd ist die Körpersprache ausschlaggebend. Es wird mit Anspannung und Entspannung gearbeitet.

 

Die ersten Schritte

 

Unmittelbar vor dem Beginn der Anhängerklappe stoppt Vivian Gabor ihr Pferd. Sie lobt Alizé, streicht sie mit der Gerte vorsichtig ab. Diese senkt den Kopf, blickt dennoch erwartungsvoll in den Anhänger. Gabor macht einen Schritt auf die Klappe, weist die Stute aber an, stehenzubleiben. Ein dumpfes Geräusch ertönt. Gabor beginnt, sich auf der Klappe zu bewegen, stampft auf, ohne ihre Stute aus den Augen zu lassen. Diese beobachtet ihre Besitzerin, reagiert aber nicht auf das immer wiederkehrende polternde Geräusch. Auch als es lauter wird, bewegt sie sich nicht. Dennoch ist eine leichte Anspannung zu merken. Dann bleibt Gabor stehen und lobt sie. Der Kopf senkt sich und Alizé scheint sich wieder zu entspannen. Gabor tritt von der Klappe und wendet ihr Pferd vom Anhänger ab. Sie dreht eine Runde und schreitet bestimmt voraus, geradewegs zu auf die Öffnung des Anhängers. Es ist so weit und Alizé soll nun das erste Mal auf den Anhänger gehen.

 

Kommunikation und Entspannung als Schlüssel

 

„Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Training mit dem Pferd heißt in jedem Fall Entspannung“, klärt Gabor auf. „Spannung und Entspannung sind ein wichtiges Kommunikationsmittel. Wir müssen uns reell entspannen können, den Muskeltonus fallen lassen können.“ Damit beruhige der Besitzer auch das Pferd. Stellen sich vor dem Anhänger Probleme dar, versucht das Pferd zum Beispiel zu flüchten, statt den Anhänger zu betreten, sollte der Besitzer erneut mit den Führübungen beginnen, sich immer weiter zum Anhänger bewegen und dabei entspannen können. „Der Anhänger an sich bildet eine kleine Kammer und alles was dort an Spannung erzeugt wird, wirkt viel drückender, als könne sie nicht weg.“ Das empfinde nicht nur der Besitzer, sondern besonders das sensible Pferd. Jede Bewegung, ob es eine Drehung oder gar ein Blick ist, solle ruhig und kontrolliert sein, denn sie habe einen Wert und wirke sich somit auf das Pferd aus. Sie seien Teil der Kommunikation zwischen Mensch und Tier. „Es ist zu vergleichen mit einer Übersetzungskarte, die man dem Pferd zu Beginn des Trainings übergibt. Dort steht genau drauf: Wenn ich das mache, machst du das – dann weichst du, dann kommst du, dann beruhigen wir uns und so weiter“, zählt sie auf. „Wenn man das schafft – und das geht in den meisten Fällen in einigen Minuten – dann schafft man es auch Richtung Anhänger. Die Bodenarbeit ist die Grundschule, das Verladen dann das Abitur.“

Vivian Gabor nutzt die Gerte bei der Bodenarbeit als verlängerten Arm.

 

Ein Erfolg für zwei

 

Strammen Schrittes geht Vivian Gabor vor, betritt die Klappe des Anhängers und Alizé folgt. Zuerst noch ein wenig zögerlich setzt sie einen Fuß nach dem anderen auf. Dann stoppt die Trainerin und lobt die Stute, die bereits mit den Vorderbeinen auf der Klappe steht und den Anhänger beschnüffelt. Sie vertraut ihrer Besitzerin, ist aufmerksam, dabei jedoch gelassen. Dann führt Gabor sie wieder rückwärts herunter, dreht eine Runde durch die Halle und setzt erneut an. Schnur stracks betritt Alizé den Anhänger, es poltert leicht. Kein Problem für das Pferd. Und schon steht sie vollständig oben und begutachtet neugierig das Innere, während Gabor sie lobt und erneut mit dem Griff der Gerte von vorne nach hinten abstreift. Nach kurzer Zeit entspannt sie sich und steht nun ruhig und gelassen auf dem Anhänger. Nach kurzer Zeit schickt Gabor sie mit sanfter Stimme zurück, wieder poltert es, bis die Hufe den Sandboden der Halle erreichen. „Gutes Mädchen, fein gemacht“, lobt die Ausbilderin. Das Training war ein voller Erfolg für sie, aber auch für Alizé, die nun wieder zurück auf den Paddock zu den anderen Pferden darf. Bis es das nächste Mal zum Anhängertraining geht.

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