Zwiegespräche erlaubt!

Mit dem richtigen Haltungsmanagement werden Sozialkontakte ermöglicht. Foto: Sven Lachmann

Pferde stehen in einem ständigen Austausch untereinander. Oft gelingt dieser durch eine leicht veränderte Körperhaltung und lautlose Signale, oft genug aber auch durch Kommunikation in Form von Wiehern und anderen Lautäußerungen. Wir sind der Frage nachgegangen, wie wir durch optimale Haltungsbedingungen die Kommunikation zwischen unseren Pferden verbessern können. 

 

„Pferde sind in Gruppen lebende Tiere, für die soziale Kontakte zu Artgenossen unerlässlich sind. Fehlen diese, können im Umgang mit den Pferden Probleme entstehen und Verhaltensstörungen auftreten. Das Halten eines einzelnen Pferdes ohne Artgenossen widerspricht dem natürlichen Sozialverhalten“, lautet die Empfehlung der „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten” vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).

Hengsthaltung immer mit Sozialkontakt

Noch vor einigen Jahren war Einzelhaltung vor allem in der Haltung von Hengsten gang und gäbe. Das hat sich zum Glück mittlerweile geändert. Wer die Kommunikation zwischen Hengsten beobachtet, bemerkt schnell, dass sie die gleichen Bedürfnisse haben wie Stuten oder Wallache.

„Bei Hengsten sind Sozialkontakte ebenso wichtig wie bei Stuten und Wallachen. Es muss mindestens Sicht-, Geruchs- und Hörkontakt für Hengste möglich sein. Zudem ist tägliche freie Bewegung auf einem Auslauf oder einer Weide essenziell“, betont FN-Tierärztin Dr. Henrike Lagershausen. „Hier sind sicherlich noch einige Dinge mehr zu beachten, beispielsweise, dass sich keine Stuten in unmittelbarer Nähe befinden sollten. Dies wird aber in der Regel dadurch vermieden, dass Zuchthengste häufig in eigenen Betrieben untergebracht sind. In Sportställen, in denen Hengste, Stuten und Wallache aufeinandertreffen, gilt diesem Punkt allerdings besondere Beachtung zu schenken.“

Gruppenhaltung ist bei Hengsten auch nach Ansicht der Deutschen Reiterlichen Vereinigung kritisch anzusehen. In einige Fällen mag es gut gehen, wenn Hengste direkt in einer Gruppe zusammentreffen, aber oft artet dieser unmittelbare Kontakt in Rangkämpfen mit erhöhter Verletzungsgefahr und Stress aus.

Es ist möglich, Hengste artgerecht zu halten. Foto: Bannon Morrissy

Stress vermeiden 

In zahlreichen Pensionsställen sind Hengste sogar unerwünscht. Die Herausforderungen ein stressfreies Zusammenleben zwischen den Geschlechtern zu ermöglichen, werden als zu hoch betrachtet. Allerdings besteht diese Möglichkeit, wenn ausreichend Platz und beispielsweise Stalltrakte für Stuten, Wallache und eben Hengste vorhanden sind. Optimalerweise gibt es zudem Pläne, wann wer in der Halle bewegt werden sollte, sodass es zu keinerlei gefährlichem Aufeinandertreffen kommt. „Um Hengste pferdegerecht halten zu können, muss das gesamte Management stimmen“, sagt die FN-Tierschutzbeauftragte Dr. Christiane Müller. „Um das stressfrei zu gestalten, dürfen keine fremden Pferde oder Stuten in der Nähe sein. Das gilt idealerweise auch für die Wege von der Box zum Auslauf und wieder zurück. Somit ist es im Einzelfall besser, die Hengsthaltung komplett auszuschließen, anstatt die Tiere in Einzelhaft in die hinterste Ecke des Stalls zu verbannen oder Dauerstress auszusetzen. Beides macht das Pferd auf Dauer krank.“

Was kann man als Pferdehalter tun, damit die Haltung von Hengsten so optimal wie möglich gestaltet wird? Die FN rät dazu, dass vor allem die Infrastruktur passen muss. Als Boxennachbarn kommen Wallache in vielen Fällen infrage. Manchmal sind Hengste als Nachbarn in Einzelhaltung möglich. „Hengste Integrieren statt Wegsperren, lautet die Devise“, so Dr. Christiane Müller. Dennoch kann zu viel Publikumsverkehr an der Box oder dem Auslauf manchen Hengst nicht zur Ruhe kommen lassen. Dann ist Stress, der sogar zu krankhaften Symptomen wie Koliken führen kann, vorprogrammiert. 

Ausläufe sollten speziell gesichert werden. Empfohlen sind Zäune mit einer Höhe von ca. 2,20 Metern und stabilem, respekteinflößenden Aussehen. Das gleiche gilt für Trennwände an den Boxen- oder Paddockboxentüren. Nebeneinanderliegende Ausläufe mit Sicherheitsabstand zueinander bieten Hengsten ein Plus an Sozialkontakt.

Junghengste werden in einigen Gestüten erfolgreich in Gruppen gehalten. Unterstützend kann ein älterer Hengst oder Wallach in die Weide- bzw. Laufstallgruppe integriert werden. Er hat eine Vorbildfunktion und wird in der Regel gut von den Jüngeren als „Oberhaupt“ akzeptiert. Solange noch keine Stuten im Spiel sind, können Hengste meist problemlos auf diese Weise gehalten werden. Nach der Geschlechtsreife ist dies von Fall zu Fall zu entscheiden. Und oft ist das Leben als Wallach einfach stressfreier. 

Während die Kommunikation und sogar gegenseitige Fellpflege mit einem Wallach durchaus gut funktionieren kann, ist das Zusammentreffen mit Stuten bei den meisten Hengsten ein hochgradiger Stressfaktor. „Jedes fremde Pferd und vor allem fremde Stuten sorgen häufig für Aufruhr. Das liegt in der Natur der Hengste und muss unbedingt beim Stallbau oder dem Zusammenstellen von Weide- und Stallgruppen berücksichtigt werden“, so Dr. Henrike Lagershausen.

Uta Gräf ist Dressurreiterin und -ausbilderin mit einer eigenen Anlage: Gut Rothenkircher Hof in Rheinland-Pfalz.

Kommunikation und optimaler Auslauf

Dressurreiterin Uta Gräf bietet auch den Hengsten auf ihrer Anlage in Rheinland-Pfalz beste Bedingungen. „Sie können sich täglich draußen bewegen. Auslauf ist unserer Ansicht nach für alle Geschlechter zu jeder Jahreszeit möglich. Unsere Hengste stehen meist einzeln, jedoch mit der Option zu stetigem Kontakt“, beschreibt sie. „Viele Hengste sind sehr gehfreudig und brauchen einfach den Auslauf. Das ist aber etwas, das ich für alle Turnierpferde immer wieder betone. Denn meist bekommt es Pferden gar nicht in einer typischen Box gehalten zu werden. Paddockboxen, Offenställe und viel Weidegang ermöglichen, dass sie sich im Training viel besser konzentrieren können. Das gelingt nicht selten nur so gut, wenn die Tiere sich den ganzen Tag über bewegen und auch in einer für sie optimalen Form miteinander kommunizieren können.“

„Pferde sind sehr neugierige Tiere und sollten gefährdungsfrei an ihrer Umgebung teilnehmen dürfen. Das gilt für Freizeitpferde ebenso wie für Turnier- oder Zuchtpferde. Es ist wichtig, auf ihr natürliches Erkundungsverhalten Rücksicht zu nehmen und ihnen zu ermöglichen, sich mit ihrem Umfeld vertraut zu machen. Das gibt mehr Sicherheit und Routine“, erklärt Dr. Sonja Weiß, Assistenzärztin an der „Hanseklinik für Pferde“ in Sittensen.

Dabei schließt sie alle Bereiche der Reitanlage mit ein. In der Regel lohnt es sich immer, als Pferdehalter neue und junge Tiere Schritt für Schritt mit der Umgebung vertraut zu machen. Dabei muss die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Pferden miteinbezogen und genau beobachtet werden. Kommt ein neues Pferd auf die Anlage, stellt sich die Frage, zu welchem Boxennachbarn oder in welche Offenstallgruppe es am besten passt. „Beobachtung ist alles, wenn es darum geht, langfristig das Optimum für die Pferde zu gewährleisten“, betont Uta Gräf. „Das kann schon mal eine Weile dauern, aber es lohnt sich.“ Für Neuzugänge können sogenannte „Integrationsboxen“ eine sinnvolle Lösung darstellen. In einer solchen Einzelbox kann der Neuankömmling zunächst in unmittelbarer Nähe zur Gruppe wohnen. „Die Pferde können sich dadurch kennenlernen, der Neuankömmling kann sich aber immer noch zurückziehen“, beschreibt Dr. Christiane Müller. Den ersten Erkundungsausflug auf die Anlage sollte der Neuzugang alleine machen, später kann ein „Integrationspferd“ unterstützend hinzugezogen werden. „Die übrigen Pferde befinden sich am besten in einem angrenzenden Auslauf“, rät Dr. Müller. So können sich die Tiere einige Zeit lang „beschnuppern“. Wenn die Begegnung vollkommen stressfrei ist, kann der neue Bewohner endgültig in die Gruppe integriert werden.

Pferde sind Herdentiere und benötigen soziale Kontakte zu Artgenossen für ihr Wohlbefinden. Foto: Frauke Riether

Beobachten und entsprechend handeln

So sollte man insbesondere bei Offenstallhaltung darauf achten, dass sich alle Pferde damit wohlfühlen. Gruppen für Offenstall, Weide und Paddock müssen sorgfältig zusammengestellt werden, damit es keinerlei Probleme für rangniedrige Tiere gibt. Diese können gegebenenfalls einen abgetrennten Bereich zugeteilt bekommen, auf den sie ausweichen können. Ebenfalls ist wichtig, dass bei Gruppenhaltung auch den rangniedrigsten Tieren stets ein optimaler Zugang zu Tränken und Futter gewährleistet wird. Jeder Pferdehalter sollte bei der Integration neuer Pferde in die jeweilige Gruppe darauf achten, wie die Kommunikation mit ihren Artgenossen sich entwickelt. Passt es überhaupt nicht, kann eine andere Gruppe ausprobiert werden. Bemerkt man nach wie vor Probleme, ist Gruppenhaltung für diese Tiere eher Stress als optimale Haltungsform. Dann sollte über eine möglichst pferdegerechte Form der Einzelhaltung, am besten in Form einer Paddockbox, in Erwägung gezogen werden. Diese bedeutet für die entsprechenden Tiere meist eine deutliche Erleichterung, weniger Stress und damit weniger Anfälligkeit für Erkrankungen.

„Pferde sind Herdentiere und benötigen soziale Kontakte zu Artgenossen für ihr Wohlbefinden. Grundsätzlich gilt, dass dieses Bedürfnis so wenig wie möglich eingeschränkt werden darf. Sicht-, Geruchs- und Hörkontakt sind das Mindestmaß. Paddockboxen, Fenster und Gitter statt Trennwände können die Boxenhaltung deutlich artgerechter gestalten“, so Dr. Sonja Weiß. „Viele Pferde sind damit sehr glücklich. Das ist ganz individuell.“

Fohlen und Jungpferde dürfen nicht isoliert aufwachsen und sollten für ihre soziale Entwicklung in Gruppen gehalten werden. Foto: Edenebayar Bayansan

Von Fohlen und Erwachsenen

Nicht nur die Haltung von Hengsten, sondern auch von Jungpferden unterliegt besonderen Bedingungen. „Fohlen und Jungpferde dürfen nicht isoliert aufwachsen und sollten für ihre soziale Entwicklung in Gruppen gehalten werden, die vor allem Gleichaltrige umfassen“, erläutert Dr. Sonja Weiß. „Einige ältere Tiere in Jungpferdegruppen zu halten ist sinnvoll, denn diese leisten hier häufig wichtige Erziehungsarbeit. Aber auch spielerisches Verhalten mit Gleichaltrigen ist in dieser Phase enorm wichtig.“ Dies gilt sowohl für die Weidegruppe, wenn Stuten und Fohlen noch zusammen sind als auch für den Zeitpunkt, wenn die jungen Pferde von ihren Müttern getrennt werden und in eigene Gruppen kommen.

„In jeder Pferdegruppe wird sich immer ein soziales Gefüge mit individueller Verträglichkeit und Freundschaften ausbilden, auf das wir als menschliche Betreuungspersonen Rücksicht nehmen sollten“, so Dr. Sonja Weiß. „Hier kann es rasse-, geschlechts- und auch altersspezifische Unterschiede geben, aber es gibt keine festen Regeln dafür, wann eine Gruppe funktioniert oder nicht. Es ist wichtig, die Pferde in der Herde zu beobachten und zu beurteilen, ob das soziale Gefüge stabil und harmonisch ist, oder die Gruppenzusammensetzung optimiert werden sollte. Änderungen an einer Gruppenkonstellation sollten immer schrittweise vorgenommen und überwacht werden. In jeder Form der Gruppenhaltung ist es eine Herausforderung, dass alle Pferde ihren Grundbedürfnissen nachgehen können. Und da wir alle Auslauf für unsere Tiere möchten, gilt es für jeden Pferdehalter sich dieser Herausforderung zu stellen. Pferde sind Bewegungstiere und haben neben kontrollierter Bewegung ein Anrecht auf freie Bewegung. Ein Mangel daran kann Verhaltensstörungen und Erkrankungen verursachen. Tägliche Bewegung ist unabhängig von Haltungsform und individueller Nutzung unerlässlich. Grundsätzlich gilt, dass Pferden Weidegang und Auslauf so oft wie möglich zur Verfügung stehen sollte.“

Trainingsalltag ohne Stress

„Pferde brauchen mindestens einen Artgenossen, mit dem sie sich gut verstehen“, beschreibt Dr. Christiane Müller. Wer jedoch nur zwei Pferde hält, dem wird das Problem des Klebens bekannt sein. Es kann mitunter schwer sein, die Pferde für das Training voneinander zu trennen.“ Dies muss rechtzeitig trainiert werden, sodass in dieser Hinsicht so gute Bedingungen wie möglich für jedes Pferd zur Verfügung zu stellen. „Den perfekten Stall“ gibt es wohl nirgends. An irgendeiner Stelle müssen immer – auch in Sachen Kommunikation zwischen den Tieren – Kompromissen eingegangen werden. 

„Zeigt ein Pferd deutliches Abwehrverhalten während der Arbeit gegenüber anderen Pferden wie Anlegen der Ohren, Drohen, Ausschlagen, dann sind das deutliche Anzeichen für Sozialstress“, betont Dr. Sonja Weiß. „Hätte das Pferd die Wahl, würde es als Fluchttier solchen Situationen aus dem Weg gehen. Reiter sollten darauf Rücksicht nehmen und im Sinne des Pferdes nach Alternativen suchen – selbst wenn es in der Realität häufig schwierig ist.“

Ein Ansatzpunkt können in solchen Fällen vertrauensbildende Maßnahmen unter dem Reiter oder in Form von Bodenarbeit sein. Zudem sollte genau analysiert werden, mit welchen Artgenossen das jeweilige Pferd am besten „klarkommt“ und bei wem die Probleme ganz offensichtlich werden. Möglicherweise ist dann immerhin ein Aufeinandertreffen dieser Protagonisten auf dem Reitplatz oder in der Halle möglich. 

Optimal ist es natürlich, wenn eine Reitanlage eine Vielzahl an Reitplätzen, Longierplätzen und -hallen sowie Reithallen bietet. Durch geschickte Verteilung auf der Anlage oder einen Sichtschutz durch Hecken kann dafür gesorgt werden, dass nicht zu viele Pferde aufeinandertreffen oder in direktem Kontakt stehen. Für Hallen und Plätze sollte es einen genauen Plan geben, sodass Reiter sichere Zeitslots für die Arbeit mit ihren Tieren erhalten und keine oberbordende Fülle in den Räumlichkeiten herrscht.

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