Scheren und Eindecken - Die wichtigsten Fragen und Antworten

Fotos: Equipics

 

Es wird Herbst. Sobald die Temperaturen sinken, steht die Frage im Raum: Scheren, ja oder nein? Wenn ja, wie umfangreich? Wo liegen die Vorteile? Auf welche Weise kann es zu Problemen kommen? Was muss nach dem Scheren beachtet werden? Wie werfen einen Blick auf die wichtigsten Fragen und Antworten rund ums Scheren und Eindecken.

Eine andere Wohlfühltemperatur

Grundsätzlich darf der Pferdehalter niemals den Fehler machen, von der eigenen „Wohlfühltemperatur“ auf jene des Pferdes zu schließen. Hier ergeben sich große Unterschiede. „Zwischen -8 und +25 Grad Celsius befindet sich die thermoneutrale Zone des Pferdes“, erläutert unsere Expertin, FN-Tierärztin Dr. med. vet. Enrica Zumnorde-Mertens. „Innerhalb dieses Temperaturbereichs muss ein gesundes Pferd keine zusätzliche Energie aufwenden, um seine Körperkerntemperatur zu halten.“ Die Wohlfühltemperatur der Tiere liegt in etwa bei etwa 5 bis 15 Grad Celsius. Bei fünf Grad funktioniert der Stoffwechsel des Pferdes optimal. Das Kälteempfinden von Mensch und Tier ist demnach ziemlich weit voneinander entfernt, wo wir schon bibbern, fühlen sich Pferde als ehemalige Steppenbewohner richtig wohl. Deshalb heißt die Devise in jedem Fall, dass es auch im Winter nach draußen geht. Wenn das Pferd geschoren wird, müssen allerdings entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, sodass durch den Eingriff in die natürliche Thermoregulation keine Krankheiten entstehen.

„Der ursprüngliche Lebensraum der Wildvorfahren unserer Hauspferde waren verschiedenartige Steppenlandschaften wie Wüsten-, Gras-, Busch- und Baumsteppen sowie Savannen- und Tundrengebiete. Charakteristisch für derartige Landschaften ist, dass es tagsüber sehr heiß wird, in der Nacht stark abkühlt und es so zu großen Temperaturschwankungen innerhalb von 24 Stunden kommt. An derartige Witterungsverhältnisse ist das Pferd über mindestens 25 Millionen Jahre angepasst. Pferde verfügen somit angeboren über hervorragende Mechanismen, um sich sowohl an Hitze und Kälte als auch an Temperaturschwankungen anzupassen“, fügt Dr. Margit Zeitler-Feicht, Expertin für Pferdeverhalten und -haltung von der TU München, hinzu.

Zu den Thermoregulationsmechanismen zählen vor allem die strukturellen Komponenten wie Hautdicke, Haarkleid und den Schweißdrüsen. Dabei passt sich das Haarkleid den Umgebungszuständen an. „Durch das Aufstellen der Haare wird bei niedrigen Temperaturen die Isolationsfunktion durch die zusätzliche Luftschicht verstärkt und die Anordnung der Haare wirkt zusammen mit den Talgdrüsen der Haut wasserableitend. Eine besondere Funktion übernimmt zudem die Haut(dicke)“, erläutert Dr. Zumnorde-Mertens. „Deshalb fressen Pferde zum Winter hin auch ganz natürlich mehr. Damit haben sie zudem ausreichend Energiereserven für die Prozesse, die in der kalten Jahreszeit ablaufen.“

Zu diesen gehört maßgeblich der Stoffwechsel, welcher bei einem gesunden Pferd bewirkt, dass auf natürliche Weise sehr viel Wärme erzeugt wird. Stark verlangsamt laufen derartige Prozesse jedoch vor allem bei alten und erkrankten Pferden ab. In diesen Fällen muss mehr Energie aufgebracht werden, um beispielsweise die Körperkerntemperatur stabil zu halten. Doch gerade bei älteren Pferden sollte der Fokus vielmehr auf das Scheren im Frühjahr gelenkt werden, wenn diese bereits bei leicht ansteigenden Temperaturen stark zu schwitzen beginnen, weil der Prozess des Fellwechsels entsprechend langsamer verläuft.

Decke – Ja oder Nein?

Bei geschorenen Pferden stellt sich die Frage nach dem Eindecken nicht. Wenn dies allerdings nicht der Fall ist, sollte der Pferdebesitzer den Einsatz von Decken durchaus kritisch hinterfragen. Denn auch sie stellen grundsätzlich einen Eingriff in die natürlichen Vorgänge im Pferdekörper dar. „Ist ein Pferd eingedeckt, können sich die Haare zur Isolation nicht aufstellen. Unter Umständen kann das Pferd mit Decke also eher frieren als ohne“, erläutert die FN-Tierärztin. „In der Praxis werden die meisten Pferde oft zu dick eingedeckt. Weniger ist in vielen Fällen mehr. Die Thermoregulation wird letztendlich durch das Eindecken eingeschränkt. Deshalb ist die Notwendigkeit stets genau abzuwägen.“

Ganz wichtig ist auch die richtige Passform jeglicher Decke, die ein Pferd trägt. „Unpassende Decken können sogar Schmerzen verursachen“, weiß die FN-Tierärztin. „Diese können beispielsweise ausgelöst werden durch permanenten Druck, welchen diese ganz besonders am Widerrist ausüben oder durch eine unzureichende Durchblutung.“ Neben der Passform stellen leichte Materialien und eine gute Atmungsaktivität sehr wichtige Faktoren dar.

Eine schwierige Entscheidung

Was also tun im Herbst, wenn die Tage kürzer werden? Soll das Pferd komplett oder teilweise geschoren werden? Möchte man es eindecken und das starke Haarwachstum darüber beeinflussen? Für die Entscheidung gibt es letztendlich kein pauschales Rezept. Der Pferdehalter muss abwägen, was für die Nutzung, Rasse, Alter, Gesundheitszustand seines Pferdes das bestmögliche Vorgehen ist.

Die meisten Pferdehalter denken, dass sich der Zeitpunkt des Fellwechsels nach den sinkenden Temperaturen ausrichtet. Doch diese spielen eine untergeordnete Rolle. Primär ist es die verkürzte Tageslichtdauer, welche die Veränderung mit sich bringt.

Grundsätzlich ist die Veränderung der Fellstruktur eine Phase, welche Pferden viel abverlangt und mit Leistungsminderungen einhergehen kann. Auch wenn dies grundsätzlich korrekt ist, sollte dennoch beachtet werden, dass es sich hierbei um einen völlig natürlichen Vorgang handelt. Ob man den Mechanismen der Thermoregulation derart entgegenwirken sollte, bleibt eine umstrittene Frage. Dennoch ist die Praxis des Scherens ebenso wie die Nutzung von Decken auf den meisten Reitanlagen in den Herbst- und Wintermonaten nicht wegzudenken.

Umfragen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) ergaben, dass rund 80 Prozent der Pferdehalter ihre Tiere im Winter eindecken. Einige Pferdehalter setzen darauf, bereits frühzeitig einzudecken, bevor der Fellwechsel im Zuge der Verkürzung der Tageslichtdauer einsetzt. Bei allen anderen erfolgt das Eindecken nach der Schur, wenn die natürliche Thermoregulation ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt wurde.

Sinn des Scherens

 „Ein tatsächlich nachgewiesener Unterschied beim Training ergibt sich primär in Bezug auf die Respirationsrate, die bei geschorenen Pferden niedriger ist. Einfluss auf die Körpertemperatur und die Herzfrequenz, die als Belastungsindikator gesehen wird, hat eine Schur aber nicht“, erläutert Dr. Zumnorde-Mertens. „Der entscheidende Unterschied liegt in der Regenerationszeit nach der Bewegung. Diese ist bei geschorenen Pferden, sofern sie nach der Bewegung nicht direkt wieder eingedeckt werden, deutlich kürzer.“

Das Pferd kann die durch seine Bewegung entstandene Wärmeenergie also deutlich schneller wieder abgeben und somit die Körpertemperatur senken. Dass das Erkältungsrisiko durch Scheren gesenkt wird, ist jedoch ein Irrglaube, zu dem bislang in jedem Fall keine stichhaltigen Studienergebnisse existieren. Viel eher können Atemwegsprobleme in den Wintermonaten entstehen, wenn den Pferden nicht ausreichend Bewegung an der frischen Luft ermöglicht wird oder diese in unzureichend gelüfteten oder sauber gehaltenen Stallungen stehen. Das Erkältungsrisiko bei ungeschorenen Pferden kann lediglich dadurch steigen, wenn dem Trockenreiten nicht genügend Zeit eingeräumt und das Pferd mit nassem Fell in die Box zurückgestellt wird.

„In einigen Fällen leistet bei sehr dichtem und langem Winterfell eine Schur tatsächlich wirksam Abhilfe“, betont Dr. Zumnorde-Mertens. „Wird geschoren, reicht eine Teilschur oft vollkommen aus. So werden die natürlichen Thermoregulationsmechanismen nicht vollständig außer Kraft gesetzt und dem Pferd kann im Winter die Decke bei entsprechenden Temperaturen auch mal abgenommen werden.“ Während bei manchen Pferden die Schur im Herbst völlig ausreicht, muss bei anderen zwei bis drei Mal im Winter „Hand angelegt“ werden. Grundsätzlich sollte die Schur allerdings so selten wie möglich erfolgen. Die meisten Pferde werden Ende Oktober/Anfang November zum ersten Mal geschoren, wenn die Tage schon deutlich kürzer sind und die Umstellung auf das Winterfell definitiv erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt raten die meisten Experten. Bis dahin sollte das Pferd uneingedeckt bleiben, sodass sich das Winterfell entwickeln kann und somit bei der empfohlenen Teilschur die entsprechenden Stellen natürlich geschützt bleiben.

Ab Januar sollten gesunde Pferde nicht mehr geschoren werden. Zu diesem Zeitpunkt beginnen im Organismus bereits die Vorbereitungen für den Fellwechsel im Frühjahr. Ausnahmen können jedoch Pferde mit – krankheitsbedingt – sehr starkem Fellwachstum wie etwa im Fall von Cushing bilden.

Gut zu Wissen

Auswahl und Pflege der Decke

Eindecken nach der Schur ja, aber welche Decke eignet sich am besten für welche Außentemperatur? Grundsätzlich muss die Decke natürlich umso dicker gefüttert sein, je mehr Haare das Pferd bei der Schur lässt. Bis zur einer Temperatur von rund fünf Grad Celsius reicht eine Decke mit 100 Gramm Füllung aus, bei einer Temperatur von um die null Grad sollte man zu einer Füllung von 200 Gramm greifen, bei bis zu minus fünf Grad zu 300 Gramm und bei tieferen Temperaturen kann eine Füllung von 400 Gramm und mehr sinnvoll werden.

Oftmals reichen Abschwitzdecken oder leichte Regendecken zum Schutz vollkommen aus. Für die wirklich kalten Tage eignen sich Thermodecken mit Wattierung, die häufig auch in Kombination mit einem regenfesten Außenmaterial angeboten werden.

Bei der Pflege der Decke sollte stets auf die Empfehlung des Herstellers geachtet werden. Manche Regendecken dürfen beispielsweise nicht imprägniert werden, da sie sonst ihre Atmungsaktivität verlieren. Bei draußen bei Wind und Wetter genutzten Decken ist ansonsten die Imprägnierung, wenn vom Hersteller empfohlen, absolut sinnvoll. Diese sind zwar vorimprägniert, jedoch sollte die Imprägnierung im Laufe der Zeit erneuert werden. Genutzt werden sollte am besten ein spezielles für Pferdedecken geeignetes Imprägnierspray, welches von seinen Inhaltsstoffen her unbedenklich ist. Waschmittel mit Imprägnierfunktion sind dagegen weniger geeignet, da diese die Atmungsaktivität der Decke durch das Verstopfen von Poren beeinträchtigen können. Auch eine Maschinenwäsche ist regelmäßig sinnvoll. Dafür sollte die Decke zunächst grob gereinigt und eingeweicht werden, bevor sie mit einem speziell geeigneten Wachmittel in die Maschine kommt. Bei dicken Thermodecken sollte diese Wäsche am besten zum Ende des Winters hin erfolgen, wenn diese nicht mehr genutzt wird und ausreichend trocknen kann.

 

 Das richtige Equipment

Auch beim Scheren ist das richtige Equipment das A und O für den Erfolg. Bei Schermaschinen stellt sich die akkubetriebene meist als das geeignetere Modell heraus. Die Maschinen mit Akku sind grundsätzlich leiser und erschrecken die Pferde damit deutlich weniger. Zudem muss der Pferdehalter sich nicht mit einem „Kabelsalat“ herumschlagen und das Pferd damit gegebenenfalls noch zusätzlich durch eine Berührung nervös machen. Dennoch gilt es alle Pferde, denen das Scheren (noch) unbekannt ist beziehungsweise die Angst davor zeigen, zunächst schonend und langsam daran zu gewöhnen. Ein vertrauter Artgenosse kann dabei ebenso unterstützen wie die Ablenkung durch eine Vertrauensperson.

Wichtig ist zudem der richtige Umgang mit der Schermaschine. Das regelmäßige Ölen, etwa alle zehn bis maximal dreißig Minuten, gehört dazu, damit die Messer nicht stumpf und damit unangenehm für das Pferd werden. Auch sollte das Pferd in einem sauberen und trockenen Zustand geschoren werden.

 

 

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