Pferdehospiz: "Jedes Tier hat eine zweite Chance verdient"

(Fotos: Privat)

„Nimm die Krücke und mach mit ihr, was du willst“, „Jetzt ist der Gaul nicht mehr mein Problem“ – all diese Sätze sind für Karena Ecke nicht mehr fremd, wenn sie zum Teil schwerkranke Pferde auf ihrem Hof in Brandenburg willkommen heißt. Doch ist dies kein normaler Hof: Die 52-Jährige betreibt ein Pferdehospiz.

 

„Auf das Pferd gekommen bin ich, wie wahrscheinlich beinahe alle Mädels, bereits in meiner Kindheit“, erinnert sich Karena Ecke zurück. „Mit sieben Jahren haben meine Schwester und ich in einer Reitschule angefangen – Reiten lernen konnte man das damals noch nicht nennen.“ In der Schulzeit bekam Karena dann eine Reitbeteiligung. Ihre Ausbildung zur Bürokauffrau war ihr „viel zu langweilig“, weshalb sie zur Polizei ging. „In dieser Zeit bekam ich dann ein Pferd in Beritt – Schnösel hieß er. Er war eine Seele von Pferd und ich konnte ihn einfach nicht mehr hergeben“, schwärmt sie. Und weil damals kein Hof vollständig ihren Vorstellungen entsprach, machte Karena kurzerhand eine Ausbildung zum Pferdewirt in Zucht und Haltung und gründete auf einem alten Resthof einen eigenen Reitstall. „Und dann begann der Kreislauf: Schnösel war einsam, also kaufte ich Murmel. Mit der wollte ich aber auf Turniere und dann wäre er wieder alleine gewesen, also kaufte ich Steve Urkel.“ Und der hat es Karena gar nicht immer leichtgemacht. „Steve Urkel war ein richtiger Seppel. Mit seinen 1,86 Meter Stockmaß machte er gerne, was er wollte. Eigentlich sollte er damals zum Schlachter, aber ich nahm ihn auf.“ Kurz bevor Karena mit ihrer Bande von Berlin nach Brandenburg umziehen konnte, brach Urkel Schnösel das Bein und er musste eingeschläfert werden. „Nun suchte ich also wieder ein Pferd, damit Urkel nicht alleine war, wenn ich mit Murmel auf Turniere fuhr.“

Der Rappe Opa bekam von Karena mehr als eine Chance. Mittlerweile ist er 30 Jahre alt und gehört ihrer rechten Hand Danny.

Und dann kam Opa

 

„Durch Zufall kam ich an Opa. Ihn habe ich für zwei Cent gekauft.“ Das alte Pferd war in einem sehr schlechten Zustand. „Er hatte an den gesamten Gliedmaßen bis zum Vorderfußwurzelgelenk und dem Sprunggelenk schwere Mauke, war ganz abgemagert und hatte stumpfes Fell. Trotzdem war ich mir sicher: Den kriegen wir wieder hin!“ Im Laufe der Zeit, die er bei Karena stand, kam heraus, dass Opa starke Zahnprobleme hatte und so wurden ihm alle Schneidezähne gezogen. „Meine Tierärztin sagte mir, dass ich ihn gehen lassen soll. Aber mein Bauch sagte mir, es sei noch nicht so weit. Also setzte ich ein Limit von drei Tagen. Hätte er bis Ablauf dieses Zeitraums nicht gefressen, hätten wir ihn eingeschläfert.“ Aber er fraß sofort wieder und das besonders hektisch. „Er hat innerhalb kürzester Zeit alles gefressen, was er in den letzten drei Jahren nicht fressen konnte. Natürlich war die Konsequenz eine Kolik.“ Zu diesem Zeitpunkt war der Wallach bereits 25 Jahre alt und schon acht Jahre bei Karena. „Erneut hörte ich meine Tierärztin sagen: Lass ihn gehen. Aber ich konnte nicht, es war noch nicht seine Zeit.“ Und tatsächlich konnte er gerettet werden und erholte sich recht schnell. Schließlich musste Opa erneut operiert werden, da sich in seinem Maul noch gesplitterte Zahnreste befanden. Nach der Op erlitt er einen Kreislaufzusammenbruch. „Natürlich gab mir meine Tierärztin den Tipp, Opa gehen zu lassen. Mittlerweile ist er 30 Jahre alt, gehört meiner helfenden Hand Danny und genießt sein Gnadenbrot auf meinem Hof“, berichtet Karena stolz.

Karena Ecke kümmert sich mit Leib und Seele um die Pferde auf ihrem Hof.

Neben ihrem Vollzeitjob hilft Danny Karena auf dem Hof wo sie nur kann.

Von der Klappe zum Hospiz

 

Ursprünglich wollte Karena eine Pferdeklappe eröffnen, ganz nach dem Prinzip von Petra Teegen aus Schleswig-Holstein. „Ich habe mich mit Petra in Verbindung gesetzt und es war alles abgesprochen und geplant. Aber dann kam irgendwie alles anders.“ Ein Mann betrat 2016 den Hof und wollte seine Stute loswerden mit den Worten: „Nimm die Krücke und mach damit, was du willst.“ Sie kam aus sehr schlechter Haltung und litt unter Cushing. „Mir brach es das Herz, als ich hörte, dass ein Besitzer sein Pferd als Krücke bezeichnete. Die Stute war in einem sehr schlechten Zustand und musste zum Schluss trotzdem noch im Schulunterricht laufen.“ Sie war aufgrund ihrer Gesundheit nicht mehr vermittelbar und so machte Karena ihr noch ein schönes Jahr, bevor sie eingeschläfert werden musste. „C’est la vie war ihr Name – wie passend“, erinnert sich Karena.

 

Das Pferdehospiz

 

„Damals sagten immer wieder Leute zu mir: ‚Du kannst nicht alle Pferde retten, Karena. Hast du ein Hospiz hier?‘ und ich dachte mir: Wieso eigentlich nicht?“ Mittlerweile gibt es das Pferdehospiz der 52-Jährigen seit ungefähr sieben Jahren. Besitzer können ihre unheilbar kranken Pferde offiziell auf dem Hof abgeben. „Meistens sind das Besitzer, die ihre Pferde als reines Sportgerät betrachten. Wird es alt oder krank, kostet es nur noch Geld und Zeit und dann wollen sie es schnellstens loswerden.“ Karena ist es egal, wie viel Pflege ein einzelnes Pferd benötigt und welche gesundheitlichen Probleme es hat. „Jedes Pferd hat eine Chance verdient. Ich nehme sie auf und gebe ihnen die Pflege, die sie benötigen und lasse sie bis zum Tod nicht allein.“ Die Besitzer müssen die Pferde persönlich abgeben und einige Dokumente sowie eine Abtretungsurkunde unterschreiben. „Dann versprechen sie alle, regelmäßig Geld zu überweisen, aber kaum einer tut es. Sie bezahlen nicht einmal das Einschläfern ihres Tieres.“

Auf dem gesamten Hof können 20 Pferde untergebracht werden. „Unsere Pferde haben entweder eine Paddockbox oder stehen im großen Offenstall. Darüber hinaus gehört zu jedem Pferd eine eigene Box, die zwar die meiste Zeit leer steht, jedoch immer bezugsfertig ist für den Notfall wie eine Krankheit oder ein Unwetter.“

Neben ihren fünf eigenen Pferden stehen zur Zeit Stute Havanna, Wallach Nackel und Opa auf ihrem Hof. Die ersten beiden leider als Hospizpferde. „Havanna leidet am sogenannten Arabergendefekt. Ihre Besitzerin kann die Vollzeitpflege aus zeitlichen Gründen nicht übernehmen und hat auch keinen Stall gefunden, der auf die Bedürfnisse der kranken Stute eingehen konnte.“ Deshalb brachte sie Havanna bei Karena als Einstellpferd unter. „Das Pferd gehört nach wie vor ihr. Sie bezahlt ihre Boxenmiete und die Tierarztkosten, aber ich pflege das Pferd rund um die Uhr“, erklärt die Betreiberin. „Und Nackel hat starkes Asthma. Er benötigt im Sommer unter anderem nasses Heu, eine Klimaanlage und tägliche Inhalationen mit einem Ultraschallvernebler.“

Neben großen Paddockboxen und einem großzügigen Offenstall verfügt das Hospiz über 20 Boxen für Notsituationen wie Unwetter oder Krankheiten.

Auch der Lipizzaner Hoschi gehört zur tierischen Familie von Karena.

Doch was ist denn nun der genaue Unterschied zwischen Karena Eckes Pferdehospiz, Petra Teegens Pferdeklappe und einem Gnadenhof? „Bei Petra können anonym Pferde abgegeben werden, die bei ihr aufgepäppelt, gepflegt und weitervermittelt werden. Auf einem Gnadenhof stehen Pferde, die aufgrund des Alters oder einer Erkrankung in Rente gegangen sind.“ Bei Karena selber wohnen jedoch hauptsächlich Pferde, die starke gesundheitliche Probleme haben, rund um die Uhr Pflege benötigen oder bei denen feststeht, dass sie nicht mehr lange leben werden. „Manchmal stehen die Pferde nur wenige Monate bei mir, bis ich sie verabschieden muss. Manchmal aber auch zwei bis drei Jahre – Todgesagte leben meist länger“, weiß die Hofbesitzerin.

 

Der Tag des Abschieds

 

Bei der Entscheidung über den Zeitpunkt des Abschieds von einem Pferd hört Karena sowohl auf ihr Herz als auch auf die Meinung ihrer Tierärztin. „Mir fällt es manchmal schwer, diese Entscheidung zu treffen. Aber ich stelle mir dann selber die Frage, wann die Tierliebe aufhört und die Tierquälerei anfängt. Ich vertraue zu 100 Prozent auf meine Tierärztin, wenn ich mal nicht weiterweiß.“ Und obwohl die Hospizleiterin in den vergangenen Jahren schon einige Tiere verabschieden musste, wird es für sie nie leichter. Mit zitternder Stimme erzählt sie: „Wir haben ein schönes Weidestück mit einer Zitronentanne. Dort führen wir die Pferde hin. Ich versuche bis zur Narkose stark zu bleiben. Danach lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf, mir kommen die Tränen und ich verabschiede mich.“ Karena bedankt sich bei jedem Pferd für die gemeinsame Zeit und bleibt bis zur letzten Sekunde bei ihm. Danach benötigt sie im Schnitt drei bis vier Tage, um den Verlust zu verarbeiten und wieder „normal zu funktionieren“.

 

Mit Herz

 

Dass Karena Ecke mit vollem Einsatz und ihrem ganzen Herz dabei ist, wird spätestens dann klar, wenn sie über die Finanzierung des Pferdehospizes spricht: „Ich bin als Beamtin im Vorruhestand und finanziere den gesamten Hof fast ausschließlich von meinen privaten Mitteln.“ Kann doch einmal ein Pferd vermittelt werden, fließt das dabei eingenommene Geld in die Tiere und auch der Erlös von verkauften Sachspenden kommt den Vierbeinern zu Gute. „Wenn wir eine Sachspende von 30 Satteldecken bekommen, verkaufen wir diese in Absprache mit dem Spender weiter. Wir können in unserem Hospiz oft nichts mehr damit anfangen oder haben irgendwann schlichtweg zu viele – zum Beispiel Halfter.“ Dennoch ist Karena über jede Geld- oder Sachspende dankbar.

Am Ende des Gesprächs muss Karena schmunzeln: „Eigentlich ist das total verrückt, oder? Manchmal frage ich mich selber, wieso ich das alles mache. Aber dann sehe ich das Strahlen in den Augen der Pferde, die keiner mehr will, und weiß: Jedes Tier hat eine letzte Chance verdient.“

 

Arabergendefekt

 

Der Arabergendefekt (Cerebelläre Abiothrophie) ist eine beim Arabischen Vollblut nachgewiesene Erbkrankheit. Nervenzellen des Kleinhirns sterben ab, weshalb Bewegungen, Gleichgewicht, Koordination und Feinmotorik nicht mehr richtig gesteuert werden kann. Betroffene Pferde fallen durch unterschiedlich starke Störungen im Ablauf der Bewegungen im Kopfbereich und im Bereich der Vordergliedmaßen auf. Sie sind anfällig für Unfälle, neigen dazu in feststehende Objekte zu laufen, fallen beim Steigen seitwärts und schlagen sich oft den Kopf an. Cerebelläre Abiothrophie wird monogen autosomal rezessiv vererbt – die Erbanlage der Erkrankung hält sich in einem gesunden Trägertier auf und wird von diesem an die Nachkommen übertragen.

 

 

Mehr Informationen über das Pferdehospiz sowie die Möglichkeit zu spenden, gibt es unter www.pferdeaufnahme-hospiz.de . das Pferdehospiz gibt es außerdem auf Facebook unter dem Namen Pferdeaufnahme-Hospiz Hohenbruch.

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