Moderne Reitanlagen: Vorsicht ist besser als Nachsicht

Mangelhafte Bodenbeläge bergen erhöhtes Verletzungspotenzial. (Fotos: Slawik)

Immer wieder kommt es im Umgang mit Pferden zu leichten bis schweren Unfällen. Einige davon lassen sich dank eines durchdachten Reitanlagenbaus vermeiden. Wir haben mit Ulrich Günther, Experte und Sachverständiger auf dem Gebiet, über Sicherheitsaspekte im Stall gesprochen.


 Weide
 

„Jährlich gehen Pferde im Wert von mehreren Millionen Euro durch Unfälle verloren“, weiß Ulrich Günther. Mit Abstand die meisten Unfälle passieren dabei durch Trittverletzungen. Der Großteil der Unglücke passiert auf der Weide oder dem Paddock. „Natürlich können wir als Menschen diese Unfälle nur bedingt beeinflussen, oftmals geht es hier um Rangordnungsverhalten. Aber wichtig ist es, die Weide möglichst groß zu gestalten und nach Möglichkeit Wallache und Stuten zu trennen“, berichtet der Fachmann. Auch bei der Eingewöhnung von neuen Pferden können Fehler vermieden werden. „Es reicht nicht, die Pferde einmal zehn Minuten am Zaun schnuppern zu lassen. Sie sollten die Möglichkeit haben, sich mehrere Tage frei, aber durch einen Zaun getrennt kennenzulernen. Anschließend sollte man das neue Pferd mit dem ranghöchsten Tier aus der Herde zusammenstellen.“ Günther ergänzt: „Wer es optimal angehen möchte, trennt sie Pferde mithilfe von zwei Zäunen, sodass ein etwa einen Meter breiter Gang zwischen den Weiden vorhanden ist. So wird effektiv verhindert, dass sich die Pferde ernsthafte Biss- oder Trittverletzungen zufügen können.“

Die Einzäunung der Freilaufflächen sollte verletzungssicher sein und sich in ihrer Höhe nach der Größe der Pferde und der Zusammensetzung der Herde richten. Außerdem sind der Standort und die Umgebung entscheidend. Die Zäune selbst sollten eine Höhe von mindestens 0,8 x Widerristhöhe haben und aus witterungsbeständigem, stabilem und nicht splitterndem Material wie Recyclingkunststoff, Metall oder Holz bestehen, alternativ aus mehreren stromführenden Litzen. Kiefer- und Fichtenholz sollte wegen der Splittergefahr vermieden werden. Es ist darauf zu achten, dass an Übergangsbereichen oder zu den Toren keine Öffnungen oder Spalte entstehen, in denen sich der Pferdekopf oder Hufe verfangen können.
 
Die Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten sehen eine Auslauffläche von mindestens 150 Quadratmetern für zwei Pferde vor plus jeweils 40 Quadratmeter für jedes weitere Pferd. Allerdings gilt: Je größer die Auslauffläche, desto besser. Um das Verletzungsrisiko zusätzlich zu minimieren, sollte die Beschaffenheit des Bodens bedacht werden. Matschige und rutschige Ausläufe werden auch ohne Zutun anderer Pferde schnell zur Unfallursache. Darum sollten größere Ausläufe ähnlich wie ein Reitplatz mit Trag-, Trenn- und Trittschicht angelegt werden und zudem über einen Wasserablauf oder eine Drainage verfügen. Außerdem empfiehlt es sich, Futter- und Tränkplätze mit Paddockmatten auszulegen, diese sind aus rutschfestem Gummi und ermöglichen ein trockenes Stehen und einfaches Abäppeln.

Bevor neue Pferde in die Herde kommen, sollte eine mehrtägige Kontaktaufnahme über den Zaun möglich sein.

Die Stallgasse sollte kein Lagerplatz für Decken, Futterkisten und Co. sein.

Stall

 

Auch die Stallgasse kann Gefahrenpotential bergen. „Trittverletzungen auf der Stallgasse sind für mich völlig überflüssig und in den meisten Fällen vermeidbar“, beschreibt der Experte. Im einreihigen Boxenstall sollte der Zwischenraum zwischen den Boxen daher mindestens zweieinhalb Meter breit sein, im zweireihigen Boxenstall mindestens dreieinhalb Meter. Dies sind die Mindestmaße, die von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung empfohlen werden. „Leider sehe ich es immer wieder, dass Pferde auf der Stallgasse angebunden werden. So entstehen die häufigsten Trittverletzungen – nämlich immer dann, wenn nicht genügend Abstand zwischen den Pferden sowohl beim Anbinden oder beim Vorbeiführen gelassen wird“, berichtet Günther. Stattdessen sollten separate Putzboxen vorhanden sein. „Putzboxen lassen sich in jedem Stall realisieren. Schlimmstenfalls muss der Stallbetreiber dafür Pferdeboxen umwandeln und auf die entsprechenden Mieteinnahmen verzichten“, verdeutlicht der Experte. Gesonderte Putzplätze reduzieren zudem die Staubentwicklung im Stall. „Auch auf Anbindeplätzen im Außenbereich sind die Anbinderinge meist viel zu dicht nebeneinander montiert. Damit zwei Pferde, die nebeneinander angebunden sind, sich nicht erreichen können, müssten diese Ringe mindestens acht Meter auseinanderliegen, alles andere ist die reinste Provokation von Unfällen. Alternativ könnte mit Schlagwänden zwischen den einzelnen Anbinderingen gearbeitet werden“, führt Günther aus. Er ergänzt: „Eine Stallgasse ist kein Lagerplatz für Futterkisten, Decken oder Ähnliches, die ebenfalls Gefahrenpotential bergen. Die Verkehrswege sollten immer frei bleiben.“ Für die Unterbringung von Futter und Ausrüstung sollten ausreichend Lagerflächen in Nebenräumen zur Verfügung stehen.

Der Boden der Stallgasse kann ebenfalls zum Gesundheitsrisiko werden. Besonders beschlagene Pferde kommen auf glattem Grund schnell ins Rutschen. Idealerweise ist der Bodenbelag der Stallgasse griffig, haltbar und leicht zu reinigen. Durch ein geringes Gefälle und flache Rinnen am Rand der Gasse kann Wasser schnell abfließen. Neben klassischem Beton und Holz werden auch immer mehr Gummiböden verbaut. Diese können in Form von Matten ausgelegt werden oder als flüssiges Material fugenfrei gegossen werden. Stein- und Betonböden, die durch jahrzehntelange Nutzung eine glatte Oberfläche bekommen haben, können mit Spezialmaschinen mechanisch aufgeraut werden.
 
Waschplätze sollten ebenfalls gesondert angelegt werden. „Befindet sich der Wasserschlauch im Laufbereich von Reiter und Pferd, kommt es schnell zur Rutschpartie“, weiß der Experte.

Viele Unfälle passieren beim Fertigmachen auf der Stallgasse.

Box

 

Teilweise offene Boxentrennwände oder Vergitterungen erfreuen sich zunehmend großer Beliebtheit, sollten jedoch nicht bei jeder Haltungsform verbaut werden. Die Vorteile sind die optische Nähe zu den anderen Pferden und ein Überblick über die Geschehnisse in der Stallgasse, dies vermittelt den Pferden das Gefühl von Sicherheit. Bei Boxenwänden aus senkrechten Rohren, wie sie häufig in Laufställen verbaut werden, ist es wichtig, auf die Anordnung der Metallrohre zu achten. Der Abstand zwischen den Stangen sollte so breit sein, dass das Pferd mit Kopf und Hals durch die Lücke passt, nicht aber die Brust. Außerdem sollte jedes zweite Element geschlossen sein, sodass die Pferde nicht den Kopf durch eine Öffnung herausstrecken und durch die danebenliegende wieder zurückführen. Besonders in Aufzuchtställen kam es so immer wieder zu Genickbrüchen. Es wird empfohlen, bei Verwendung von Rohren oder Stäben einen Abstand von höchstens fünf Zentimetern oder über 30 Zentimetern einzuhalten. Bei Boxen, in denen Fohlen gehalten werden, sollte der Abstand nicht größer als drei Zentimeter sein. Gleiches gilt für geschlitzte Boxenwände aus Holz. Generell ist bei Metallstäben ausreichende Biegefestigkeit und Stabilität zu beachten. Denn durch Tritte können sich dünnwandige Stäbe sonst leicht verbiegen, so kann schlimmstenfalls ein Huf zwischen den Stangen hängen bleiben. „Eine häufige Verletzung, die wir sehen ist, entsteht, wenn Pferde an den Gitterstäben ihrer Box knabbern und dann mit dem Unterkiefer zwischen den Stäben hängen bleiben. Dabei brechen sie sich den Kiefer“, erklärt Günther. Außerdem sollte das in der Box verbaute Holz ebenfalls schlag- und splitterfest sein. Herausstehende Schrauben oder größere Spalte zwischen Boxenwänden sind sofort zu beseitigen. Die Gesamthöhe der Boxenwände sollte mindestens 1,3 x Widerristhöhe betragen, damit auch steigende Pferde nicht mit den Vorderbeinen über die Trennwand gelangen.

Bei senkrechten Spalten sollte jedes zweite Feld geschlossen sein.

Spalten und Lücken im Zaun oder Stall sollten vermieden werden.

Der Experte:


Ulrich Günther ist seit 40 Jahren als landwirtschaftlicher Sachverständiger bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen öffentlich bestellt und vereidigt. Die Haltung und Zucht von Pferden sind sein Fachgebiet. Jahre lang war er selbst, ebenso wie seine drei Töchter aktiver Pferdesportler.

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