Barr-Affäre: Von schwarzen Schafen und Duckmäusertum

Die Barr-Affäre Beerbaum erhitzt die Gemüter. In den Medien schlagen die Wellen hoch und das in die abstrusesten Richtungen. Fest steht: Das Image des Reitsports hat in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit erneut einen herben Schlag einstecken müssen.

Wir Reiter sind die einzigen, die ein Lebewesen für die Ausübung unseres Sportes benötigen. Das macht unseren Sport weniger kalkulierbar als jegliche andere sportliche Betätigung, gleichzeitig jedoch auch angreifbarer für die Außenwelt. Gerade in Sachen Tierwohl gibt es viele Ansatzpunkte, um Dinge kritisch zu hinterfragen. Wenn der Reitsport dann noch wiederholt für Negativ-Schlagzeilen sorgt und ohnehin schon lange in den Fokus kritischer Berichterstattung gerückt ist, wird die ganze Sache nicht einfacher.

Die zentrale Frage ist: Wieso hat es nach dem Barr-Skandal Schockemöhle „das Touchieren eines Springpferdes, sollte es Nachlässigkeit aufgrund zu hoher Springroutine zeigen“ in die Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen Reiterlichen Vereinigung geschafft? Insbesondere, wenn die Passagen um den in rot und fett gedruckten Hinweis „Wird die Touchierstange gehalten, darf dies nur von sehr erfahrenen, routinierten Pferdefachleuten durchgeführt werden, die über genügend Gefühl, Sensibilität und Erfahrung verfügen“ ergänzt werden muss?

Hier geht es schon lange nicht mehr um eine pferdesportliche Fachdiskussion, in der erörtert werden muss, wer welches Hilfsmittel wie einsetzen darf oder ob dem Pferd mehr Schmerzen zugefügt werden, wenn es mit einer Zwei-Kilo-Stange am Vorderbein touchiert wird oder wenn es selbst eine Stange reißt. Hier geht es um die Öffentlichkeitswirksamkeit solcher Regeln und Formulierungen. Da hilft es auch nichts, dass die FN bereits Anfang 2021 eine Kommission einsetzte, die sich mit den Ausbildungsmethoden im Pferdesport und damit auch mit dem Touchieren befasst. Dass diese Kommission bisher zu keinem Ergebnis kam, sorgte dafür, dass sich der beschuldigte Reiter jetzt auf eben diese Regeln berufen und damit sein Tun rechtfertigen konnte.

Einzig die FEI fand bis dato klare Worte zu dem Vorfall: „(…)Wir verurteilen alle Trainingsmethoden und Praktiken, die dem Wohlergehen des Pferdes schaden, aufs Schärfste. (…) Die Trainingsmethoden, die in dem RTL-Videomaterial zu sehen sind, sind aus Sicht des Pferdewohls völlig inakzeptabel und gegen das FEI-Reglement.“ Die Weltreiterorganisation beruft sich auf ihre General Regulations (GRs), Artikel 142: „Keine Person darf ein Pferd während einer Veranstaltung oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt missbrauchen. „Missbrauch“ bedeutet eine Handlung oder Unterlassung, die einem Pferd Schmerzen oder unnötiges Unwohlsein zufügt oder zufügen kann, einschließlich, aber nicht beschränkt auf: ein Pferd zu „schlagen“.“ Auch zitiert die FEI Artikel 243.1 ihrer Springsportregeln: „Alle Formen der grausamen, unmenschlichen oder missbräuchlichen Behandlung von Pferden, einschließlich, aber nicht beschränkt auf verschiedene Formen des Schlagens, sind streng verboten. Artikel 243.2.1 enthält eine nicht erschöpfende Beschreibung dessen, was von der FEI als „Schlagen“ angesehen wird.“

Ein ebensolches Statement wäre von der vor Ort zuständigen Organisation – nämlich der FN – nicht nur wünschenswert, sondern dringend erforderlich gewesen, um klar Position zu beziehen. Duckmäusertum bringt in einer solchen Situation niemanden weiter. Stattdessen muss jetzt mehr denn je alles daran gesetzt werden, nicht nur die Regelwerke, sondern auch deren Umsetzung zu hinterfragen und dabei noch viel mehr das Wohlbefinden unserer Sportpartner, der Pferde, in den Fokus gestellt werden. Denn ein einzelnes schwarzes Schaf, das Grauzonen-Regelungen so umsetzt, dass das Tierwohl in Frage gestellt werden kann, schädigt nicht nur seinen eigenen Ruf, sondern den der gesamten Reiterwelt. Je mehr solcher Szenen an die Öffentlichkeit gelangen, umso schwerer wird es für den Pferdesport, auch die kommenden Jahre und Jahrzehnte zu überdauern.

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