Interview: „Es ist Zeit, über ein Miteinander nachzudenken“

Corona-Krise in Niedersachsen – wie haben unsere Verbände vor Ort sie erlebt? Wir haben mit Erika Putensen, Geschäftsführerin des PSV Hannover, und Alexandra Duesmann, Geschäftsführerin der Pferdeland Niedersachsen GmbH, gesprochen. Auch auf politischer Ebene herrschte Ausnahmezustand. Das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML) hat einige Fragen beantwortet.

Vor welche Herausforderungen haben Sie die letzten Wochen gestanden?

Erika Putensen (PSV Hannover):

Das war definitiv die seit dem Lockdown gegen null tendierende Planbarkeit für alle Bereiche des Pferdesports.

 

Alexandra Duesmann (Pferdeland Niedersachsen):

Grundsätzlich war und ist es eine große Herausforderung, Strukturen für eine Situation zu erarbeiten, die es vorher noch nie gegeben hat. Die Komplexität der Situation stellt sich dabei ja leider erst im Verlauf des Geschehens dar und man kann mit voreiligen Entscheidungen oft vielmehr falsch als richtig machen. Wir haben uns schon sehr früh mit unseren Pferdesportverbänden Hannover und Weser-Ems und dem Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium über alle Maßnahmen ausgetauscht. Die größte Herausforderung für uns war bisher die Umsetzung des Leitfadens zum Umgang mit den Pferden unter Berücksichtigung der Maßnahmen bei Corona. Die Erarbeitung ist eine Gesamtleistung der Verbände, der Pferdeland Niedersachsen GmbH und der Ministerien. Hier gilt mein besonderer Dank Frau hier Dr. Johanne Waßmuth vom Landwirtschaftsministerium, die uns dazu stark in unserer Arbeit unterstützt hat. Die nächste Herausforderung wird die Erarbeitung und die Umsetzung zu den Maßnahmen im Hinblick auf die Wiederaufnahme des Sports sein.

Das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML):

Da Pferdesport und Pferdezucht untrennbar miteinander verbunden sind, gab es im Zusammenhang mit dem Corona-Virus eine Vielzahl von Anfragen mit ganz unterschiedlicher Ausrichtung. Angefangen von Reitvereinen, Pensionspferdebetrieben und Zuchtverbänden bis hin zu Einstellern, Hobby- und Berufsreitern, Veterinären oder auch Rennvereinen sowie dem Landgestüt in Celle.

 

 

 

Was war Ihr Kernthema während der Corona-Krise, das Sie besonders beschäftigt hat?

Erika Putensen:

Für uns standen vor allem die Die Schulpferde–haltenden Vereine unseres Verbandes im Fokus und wie wir ihnen helfen können. Am Anfang gestaltete sich vor allem die Langwierigkeit der Instanzen bei der Installation eines niedersächsischen Bewegungs-Leitfadens schwierig. Ebenso hat uns natürlich das Wegbrechen der Pferdesport-Veranstaltungen betroffen, die ja schon eine ganz wesentliche Säule des Verbandes sind, der sich immer in Richtung Turniersport positioniert hat. Auch wir beim PSV Hannover mussten in der Konsequenz Kurzarbeit für unsere Verbandsgeschäftsstelle anmelden.

 

Alexandra Duesmann:

Die größten Schwierigkeiten hat uns zum einen der Zeitfaktor gemacht, mit dem unsere Eingaben zum Umgang mit den Pferden unter Corona-Maßnahmen von der Politik bearbeitet wurden. Hier hätten wir uns eine schnellere Bearbeitung gewünscht, da dadurch manche Missverständnisse und Unsicherheiten hätten vermieden werden können. Aber auch hier muss man sich vor Augen halten, dass wir mit dem Pferdesport nur ein kleiner Teil der „Mammutaufgabe Corona“ in den Ministerien sind und somit nicht immer an erster Stelle kommen können. Zum Zweiten war es anfangs auch nicht immer ganz einfach, alle Pferdesportler zu der notwendigen Einsicht für die verhängten Maßnahmen zu bewegen. Inzwischen läuft es aber gut und ich denke, wir können uns auf unsere Pferdesportler im Hinblick auf die Einhaltung der Maßgaben verlassen.

 

ML:

Die vordringliche Herausforderung war es aus Sicht des Ministeriums, möglichst zügig einen Leitfaden zu konzipieren, der zum einen von allen Beteiligten mitgetragen werden und zum anderen möglichst vielen Betroffenen aus Zucht und Sport schnell Klarheit geben konnte. Dies ist auch dank der engagierten Unterstützung durch die Pferdeland Niedersachsen GmbH gelungen. Darüber hinaus gab es zahlreiche Briefe mit der Bitte um Unterstützung, in denen die wirtschaftlich ausgesprochen schwierige Situation von Reitvereinen, Gnadenhöfen oder anderen dargestellt wurde.

Welche Sorgen und Ängste haben insbesondere die Pferdebesitzer und Stallbetreiber an Sie herangetragen?

Erika Putensen:

Da gab es gleich mehrere zentrale Anliegen, mit denen wir immer wieder konfroniert wurden. Beispielsweise kontaktierten uns Pferdebesitzer aufgrund fehlender Bewegungsmöglichkeiten ihrer Pferde, die sonst regelmäßig die Anlagen eines Vereins oder Betriebes genutzt hatten. Gleichzeitig gab es viele Anfragen von Stallbesitzern, beispielsweise zum Management pro Pferdebesitzer bei gleichzeitiger Einhaltung umfänglicher Hygienevorschriften und Kontaktbeschränkungen. Eine Frage, die viele bewegte, war: Sollten in unserem Stall Menschen positiv getestet werden – wie kann es dann weitergehen?

Eine besondere Schwierigkeit bestand darin, dass es trotz des mit dem Land Niedersachsen abgestimmten Leitfadens andere Auslegungen von Landkreisen gab, die beispielsweise die Notbewegung in der Reithalle verboten.

Auch wurden wir immer wieder damit konfrontiert, dass Stallbesitzer Kündigungen von Einstallern hinnehmen mussten – mit der Begründung fehlender Nutzungsmöglichkeiten und Schulungsangeboten.

 

Alexandra Duesmann:

Wir sind uns darüber klar, dass die Krise dem Wirtschaftsfaktor Pferd sehr viel abverlangt. Die Verluste in den Betrieben und Vereinen werden durch den Shut-Down sehr hoch sein. Natürlich sind da die größten Sorgen immer erstmal die Fragen nach dem Überleben. Existenzängste dürfen hier nicht klein geredet werden.

Hinzu kommt, die Sorge der Pferdebesitzer um ihre Pferde – nicht als Wirtschaftsgut sondern als Sportpartner, Freund oder Familienmitglied. Da es anfangs schwierig war, genaue Regularien zum Umgang mit den Pferden herauszugeben, gab es dort natürlich viele Unsicherheiten. Wer darf noch zum Pferd? Ist mein Pferd ausreichend versorgt? Was ist, wenn mein Pferd krank wird? Das hat natürlich viele Pferdebesitzer aber auch Vereine und Betriebe stark beschäftigt. Ein Pferd ist ja schließlich kein Tennisschläger, den man während der Krise in den Schrank stellt und anschließend wieder herausholen kann.

 

Veränderung kann immer auch Positives mit sich bringen. Welche Dinge haben Sie als positiv empfunden?

Erika Putensen:

Kurz nach dem Lockdown stand für uns fest, dass über eine nicht unerhebliche Zeitspanne nur eines zählen würde: Der Umgang  beziehungsweise die Bewältigung dieser so außergewöhnlichen, nie dagewesenen Lage für die Vereine, Verbände und die Betriebe. Damit einher ging die Möglichkeit der Besinnung auf das Wesentliche ohne Wenn und Aber – auch wenn sie uns allen quasi auferlegt wurde. Ganz schön ist doch die Erkenntnis, dass auch das noch funktioniert – und im Laufe der Zeit sogar immer besser. Positiv ist mir auch die Veränderung von Verhaltensweisen im Umgang miteinander aufgefallen und zuguterletzt gab es dadurch dann auch die Bestätigung, dass Pferdesportler diszipliniert sein können.

 

Alexandra Duesmann:

Es gab Gott sei Dank schon viele positive Situationen, die ich bisher in der Krise erlebt habe. Das geht los bei der Unterstützung, die plötzlich untereinander angeboten wird. Es ist z. B. eine belebte Kommunikation zwischen den Verbänden und Pferdesportlern, die es vorher meines Erachtens nach so nicht gab. Schön ist es, wieder die Besinnung auf wirklich wichtiges im Leben, wie Menschlichkeit, Zusammenhalt und Unterstützung zu spüren. Gerade im Reitsport ist man relativ häufig als Einzelkämpfer unterwegs, jetzt ist es Zeit, über mehr Miteinander nachzudenken.

ML:

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Pferdezucht und der Pferdesport in Niedersachsen gut organisiert und vernetzt sind. Sicherlich gibt es an der einen oder anderen Stelle noch Verbesserungsbedarf. Bei der Bewertung darf man jedoch nicht vergessen, dass wir es bei Corona mit einer globalen Pandemie zu tun haben, die alle vor erhebliche Herausforderungen stellt. Unabhängig davon wäre es aus Sicht des ML für die Zukunft wünschenswert, dass die Mitglieder der Pferdeland Niedersachsen GmbH, die ja ein großes Spektrum aus dem Bereich Zucht und Sport und nicht zuletzt auch aus der Wirtschaft in Niedersachsen abbildet, die Einrichtung noch stärker unterstützen.

 

Worauf freuen Sie sich besonders in der Zukunft?

Erika Putensen:

Ich freue mich vor allem auf eins: Planbarkeit! Ebenso freue ich mich auf die Fortsetzung des Reitbetriebs in unseren Vereinen und Betrieben und auf die strahlenden Augen der Kids, wenn sie wieder in den Sattel dürfen. Hinzu kommen die vielen kleinen und größeren Veranstaltungen unserer Vereine, die neben dem Sport auch wieder die Möglichkeit für alle  bieten, Klönschnack zu halten. Und am Ende freue ich mich auch wieder auf all die kleinen und gerne auch etwas größeren „Problemchen“ und „Baustellen“, die unser Verbandsleben vor Corona mitbestimmt haben.

 

Alexandra Duesmann:

Das ist ganz einfach: Ich freue mich darauf, unseren Pferdesport wieder mit allen seinen Facetten live erleben zu können, wieder ungehindert mit Menschen zusammenkommen zu können und hoffe auf ganz viel Enthusiasmus und Kreativität, um die Defizite, die Corona uns auferlegt hat, gemeinsam zu bewältigen.

 

 

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