Hoffnung für lahme Pferde

Voll im Trend: Training mit Balance-Pads. (Foto: Equipics)

Eine Verletzung ist schnell passiert, ein Kaltstart auf der Weide, ein Ausrutschen auf dem Auslauf oder ein falsches Aufkommen nach dem Hindernis. Oft kann ein versierter Tierarzt mit dem bloßen Auge den Ursprung des Problems ausmachen. Ist dies nicht der Fall, helfen Röntgen-, Ultraschall- oder Szintigrafieaufnahmen bei der Diagnose. Ist die Ursache gefunden, folgt die Behandlung und die anschließende Rehabilitation. Besonders beim Wiederaufbau gibt es verschiedene Hilfsmittel und Therapien, die eine erfolgreiche Rehabilitation fördern.

 

Die klassische Lahmheitsdiagnostik reicht von der Beugeprobe, über eine lokale Anästhesie (Leitungsanästhesie) bis hin zu Ultraschall- und Röntgenaufnahmen. Sollten all diese Untersuchungen ergebnislos bleiben, können aufwendigere bildgebende Diagnostiken, wie Magnetresonanztomografie (MRT), Computertomografie (CT) oder Szintigrafie Aufschluss geben. Hierbei können auch Bereiche abgebildet werden, die von Ultraschall- und Röntgenstrahlen nicht erreicht werden. Welches Verfahren sinnvoll ist, hängt von dem Anfangsverdacht ab.durch die Arterien zu den Haargefäßen - auch Kapillaren genannt -, die die Organe und Zellen mit Sauerstoff versorgen. Von dort aus fließt es durch die Venen zurück zum Herzen.

 
Die linke Herzseite bewegt das sauerstoffreiche Blut, die rechte das kohlendioxydreiche. Das sauerstoffreiche Blut wird durch die Aorta, Arterien und Kapillaren zu den Organen und Zellen transportiert, wo diese ihre Stoffwechselschlacke in das Blut abgeben und Sauerstoff aufnehmen. Durch diesen Austausch verändert das Blut seine Farbe und wird von hellrot zu dunkelrot.
Das sauerstoffarme Blut gelangt dann von den Kapillaren über die Venen in die rechte Herzseite.

Führanlagen sind nicht nur eine weitere Bewegungsmöglichkeit, sondern werden auch in der Rehabilitation eingesetzt. (Foto: Equipics)

Die Szintigrafie
 
Diese Untersuchung wird ausschließlich stationär in der Klinik vorgenommen. Bei dem nuklearmedizinischen Verfahren werden dem Pferd radioaktiv markierte Substanzen (Technetium) gespritzt, die sich dann durch das Blut im gesamten Körper verteilen. Die Behandlung erfolgt im Wachzustand, eine Vollnarkose bleibt dem Tier also erspart. „Diese Methode ist für uns unerlässlich. Sie ist die einzige, die auch die Oberlinie des Pferdes von Kopf bis Schweif sichtbar macht“, erklärt Dr. Enno Allmers, Fachtierarzt für Pferde-Orthopädie im Tiergesundheitszentrum Isernhagen. Neben der Lahmheitsdiagnostik wird das Verfahren auch bei Rittigkeitsproblemen, Fissurverdacht oder undeutlichen Lahmheiten eingesetzt.
 
Je nach Ausgangsverdacht wird eine Gefäß- und Weichteilszintigrafie oder eine Knochenszintigrafie durchgeführt. Das Technetium verteilt sich zunächst in den Blutgefäßen und lagert sich nach fünf bis 15 Minuten im Weichteilgewebe ab. Mit einer Gammakamera werden dann Aufnahmen gemacht und auf dem Computermonitor lassen sich erkrankte Bereiche leicht erkennen. Entzündliches Gewebe wird stärker durchblutet, daher entsteht hier eine vermehrte Ablagerung des radioaktiv markierten Materials. Bei dieser Untersuchung können Gefäßanomalien, Thrombosen, Sehnendefekte, Bänderverletzungen oder aseptische und septische Gelenksentzündungen festgestellt werden. Die Weichteilszintigrafie ist sehr selten und wird nur in Ausnahmefällen durchgeführt.
 
Nach etwa zwei Stunden ist das Knochengewebe mit dem Technetium angereichert. Durch den gesteigerten Knochenstoffwechsel kommt es auch hier zu einer vermehrten Ablagerung des Technetiums. So können Frakturen oder Veränderungen in der Knochenstruktur erkannt werden. Die gesamte Untersuchung dauert etwa eine bis eineinhalb Stunden.

Röntgenaufnahmen gehören zur klassischen Lahmheitsdiagnostik. (Foto: Equipics)

In der Regel wird der Patient einen Tag vor der Untersuchung bereits stationär aufgenommen und muss auch im Anschluss noch zwei Tage bleiben, da von ihm schwache radioaktive Strahlung ausgeht. In dieser Zeit darf das Pferd nur von speziell geschulten Personal betreut werden. Für das Tier selbst, ist diese Strahlung jedoch ungefährlich. Ist die Ursache der Schmerzen gefunden, wird ein individueller Therapieplan erstellt. 
 
Der Fall Darmbeinschaufel
 
Im Tiergesundheitszentrum Isernhagen werden jedes Jahr rund 200 Szintigrafien durchgeführt. Ein konkretes Beispiel für die Diagnose mit dem Szintigraphen ist Edgar, ein achtjähriges Dressurpferd. Edgar zeigte eine spontan auftretende Lahmheit, deren Ursache durch den behandelnden Tierarzt nicht auszumachen war. Klar war nur: Das Problem liegt in der Hinterhand, die Hufe und Beine zeigten jedoch keine Symptome. Auch die Röntgenbilder gaben nicht mehr Aufschluss über die Verletzung. Es folgte die Überweisung in das Tiergesundheitszentrum Isernhagen zu Dr. Allmers, der eine Szintigrafie vornahm. Die Bilder der Gammakamera zeigte verstärkte Ablagerungen der radioaktiven Substanz in der linken Darmbeinschaufel, die auf eine Fissur hinweisen. Die Darmbeinschaufel ist ein Teil des Beckens und verbindet die Wirbelsäule, im Kreuzbeinbereich, mit dem Hüftgelenk. „Die Verletzung liegt etwa 20 Zentimeter unterhalb der Haut und wäre durch Röntgen und Leitungsanästhesie nicht zu finden gewesen“, führt Dr. Allmers aus. Doch die Prognose für Edgar war gut - ultrasonografisch konnte man feststellen, dass keine Verschiebung der Frakturenden vorlag, somit war kein operativer Eingriff nötig. Stattdessen hieß es drei Monate lang strenge Boxenruhe. Darauf folgten ein Monat kontrolliertes Schrittgehen, ein Monat Schritt und Trab und ein Monat mit gesteigertem Training. „Nach etwa einem Jahr war Edgar wieder auf seinem ursprünglichen Trainingsstand“, berichtet der Fachtierarzt. Um die Rehabilitation zu fördern, wurde ein Aquatrainer in die Aufbauarbeit des Pferdes eingebaut. „Wichtig war es, dass das Wasser sehr tief war, damit das Pferd die Beine im Wasser bewegt. So ist der Widerstand geringer“, macht Dr. Allmers deutlich.

Der lange Weg zurück
 
Häufig zeigt sich erst während der Heilung und Rehabilitation, ob das Pferd seinen ursprünglichen Leistungsstand wieder erreichen kann. Wichtig ist allerdings, dem Tier ausreichend Zeit zur Heilung zu geben. Pferde sind Lauftiere und damit ist Bewegung ein absolutes Grundbedürfnis, doch manchmal ist Boxenruhe unumgänglich. Wenn Pferde, nach einer Verletzung oder Operation lange stehen, kommt es schnell zu Muskelschwund und Blockaden. Schonhaltung durch Schmerzen werden oft beibehalten - auch wenn die eigentliche Schmerzursache behoben ist. Außerdem schwindet die Kondition bereits nach einer Woche. „Wenn eine Beinverletzung vorliegt, nimmt die Muskulatur an dem kranken Bein noch stärker ab als am Rest des Körpers“, erklärt Dr. Allmers. Um die Begleiterscheinungen der Stehzeit zu minimieren, empfiehlt der Fachmann eine passive Therapie in Absprache mit dem Tierarzt. So kann beispielsweise physiotherapeutisch oder chiropraktisch gegen Blockaden vorgegangen werden. „Ich bin großer Fan von physiotherapeutischen Heilmethoden, die zur Unterstützung der Rehabilitation angewandt werden. In Edgars Fall jedoch lag die Verletzung 20 Zentimeter unter der Haut, soweit können nur wenige Therapien eindringen“, erklärt Dr. Allmers. Grundsätzlich sollten jede Anwendung und der Plan zum Wiederaufbau sehr eng mit dem Tierarzt abgestimmt werden. Viele Therapien können auch parallel zum Erfolg führen und sich gegenseitig begünstigen. Auch gesunde Pferde profitieren von aktiven und passiven Therapien. Durch Trainingsgeräte und manuelle Anwendungen können das Wohlbefinden gesteigert und Verletzungen vorgebeugt werden.

Die Aufnahme aus der Szintigrafie von Edgar zeigt die beiden Darmbeinschaufeln, auf dem linken Bild sind die Ablagerungen des Technetium als weiße Stellen zu erkennen. (Foto: Tiergesundheitszentrum Isernhagen)

Passiv und effektiv
 
Neben der Behandlung durch einen Chiropraktiker oder Physiotherapeuten, eigenen sich auch Magnetfeldtherapien während der Stehzeit. Dabei werden starke Magnetfelder für kurze Zeit an den Körper abgegeben. So sollen geschwächte Zellen wieder dauerhaft aufgeladen und ihre Selbstheilungskräfte aktiviert werden. Diese Therapie eignet sich für jede Art von Verletzung, weil ihnen allen eine gestörte Zellmembran zugrunde liegt. Es gibt auch Therapiedecken und Gamaschen, die mit einem elektromagnetischen Impuls arbeiten. Sie stimulieren die Pumpbewegung der Blutgefäße und erhöhen somit die Versorgung der Zellen, was wiederum den Heilungsprozess fördern soll.
 
Eine weitere passive und sehr effektive Methode ist die Faszienbehandlung. Faszien sind feine Gewebestränge, die durch fehlende Bewegung der Muskulatur verkleben und verhärten. Sie können durch gezielte Massagen wieder gelöst werden. Dies fördert die Durchblutung und verbessert die Regeneration.
 
Ein Behandlungsverfahren, das auch beim Menschen nach Operationen regelmäßig zum Einsatz kommt, ist die Lymphdrainage. Die Massagetechnik erhöht den Lymphabfluss, was für einen beschleunigten Abtransport von Flüssigkeit aus dem Gewebe zurück in den Blutkreislauf sorgt. Dies fördert die Wundheilung und Schwellungen werden reduziert.
 
Kaltes Plasma kann bei der Wundheilung eingesetzt werden. Das Kaltplasma soll Keime abtöten und die Durchblutung steigern. Zudem wird der Sauerstoffgehalt im Gewebe erhöht, wodurch die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert werden.
 
Weitere passive Behandlungen sind alternative Heilmethoden wie Akupressur, Akupunktur, Homöopathie und die Behandlung mit Blutegeln.
 
Warme und kalte Hilfen
 
Dass Wärme und Kälte der Heilung dienen, ist allgemein bekannt. Doch was genau passiert durch den Einfluss der Temperatur? Im Fachjargon spricht man von physikalischen Therapien. Das Kühlen von Verletzungen mit Wasser, führt zu einer Verengung der Blutgefäße an der behandelten Stelle - der Blutfluss verlangsamt sich. So wird verhindert, dass sich Flüssigkeit im verletzten Gewebe ansammelt und Ödeme entstehen. Aber auch die Stoffwechselprozesse werden verlangsamt, wodurch Entzündungen vorgebeugt werden.
 
Während kaltes Wasser die Durchblutung hemmt, wird diese durch Wärme gefördert. Sie lindert die Schmerzen bei Krankheiten im Sehnen- und Bänderbereich. Induktionsgamaschen, Moorpackungen oder mit der Besonnung im Solarium wird die Durchblutung angeregt.

Der Aquatrainer ist ein wichtiger Bestandteil des Reha-Trainings. (Foto: Equipics)

In der Chiropraktik soll die Funktion der Gelenke sichergestellt werden. (Foto: Equipics)

Kontrollierte Bewegung fördert Kraft und Ausdauer
 

Wenn die Stehzeit vorüber ist, kann es noch mal heikel werden. Viele Pferde sind übermütig und riskieren mit unkontrollierten Bewegungen ihre bisherige Heilung. Leichte Arbeit auf dem Laufband begrenzt das Pferd und verhindert Ausbrechen und Bocken. Zudem muss sich das Pferd durch die Vorwärtsbewegung des Laufbandes stark konzentrieren. Die absolut ebene Lauffläche sowie die anpassbare Laufgeschwindigkeit und der individuell einstellbare Steigungswinkel ermöglichen ein behutsames und auf die Bedürfnisse des Pferdes angepasstes Reha-Training. Wichtig zu wissen: Das Laufband ist weniger gut geeignet für Pferde mit Problemen im Bewegungsapparat, denn durch das Band wird das auffußende Bein stetig weiter nach hinten gezogen. Dadurch ist mehr Kraftaufwand erforderlich als beim normalen Laufen.
 
Das Training in der Führanlage eignet sich besonders gut, um die Kondition zurückzuerlangen. Das Herz-Kreislaufsystem wird durch die gleichbleibende Bewegung über einen längeren Zeitraum gestärkt. Auch Longieren kann - in Absprache mit dem behandelnden Tierarzt - zur Verbesserung der Kondition auf dem Reha-Plan stehen.
 
In Kombination mit Wasser können Laufbänder und Führanlagen noch weitere Vorteile bieten. Das Tier wird schonend trainiert, ohne sein eigenes Körpergewicht in Gänze tragen zu müssen. Gelenke, Bänder und Sehnen werden dadurch weniger belastet. Durch die Höhe des Wasserstands kann zudem die Intensität des Trainings individuell angepasst werden. Anders als beim herkömmlichen Laufband, ermöglicht die Wassersäule unter dem Huf ein gleitendes und gelenkschonendes Auffußen. Noch mehr Wasser wird beim Schwimmtraining eingesetzt. In einem Schwimmbad oder einer Wasserführanlage werden Muskulatur und Kondition verbessert, ohne dass das Gewicht von Tier oder Reiter den Körper belastet.
 
Balance-Training zur Vorbeugung
 
Um Sehnen, Bänder und Muskeln zu trainieren und so eventuellen Verletzungen und Fehlstellungen vorzubeugen, hält ein Fitnesstrend im Reitsport Einzug: das Balance-Pad. Mit den weichen Schaumstoffkissen wird die Balance und die Tiefenmuskulatur der Pferde verbessert. Die Pads werden dem Pferd unter die Hufe gelegt und bilden somit einen wackeligen Untergrund. Die Arbeit mit Pads sollte behutsam verlaufen, damit das Tier sich an diese ungewohnte, teils gruselige Situation, den festen Boden unter den Füßen zu verlieren, gewöhnt. Steht das Pferd dann mit einem oder allen vier Beine auf einem Pad, muss es sich selbst immer wieder neu stabilisieren. Durch diese feinen Bewegungen können sich Blockaden lockern. Im Humanbereich werden sie vor allem zur Stabilisierung von Knie- und Sprunggelenk verwendet.


Behandlungstechniken


Chiropraktik, Physiotherapie und Osteopathie sind alternative Behandlungsmethoden, die nicht die traditionelle, tiermedizinische Behandlung ersetzen, sondern unterstützen und ergänzen sollen. Jeder Behandlungstechnik sollte eine tierärztliche Untersuchung vorausgehen. Außerdem verschaffen sich die Therapeuten einen ganzheitlichen Überblick, neben der Problemerläuterung und Gangbildanalyse, spielen Fütterung, Ausrüstung und Allgemeineindruck des Patienten eine wichtige Rolle.

Chiropraktik:

Chiropraktik ist eine manuelle Therapie, bei der die Beweglichkeit und die Funktion der Gelenke überprüft wird. Besonders die Wirbelsäule steht dabei auch im Fokus. Sie behandeln Einschränkungen in der Beweglichkeit, sogenannte Blockaden, mit sanften aber bestimmte Handgriffen. Gegebenenfalls erfolgt nach der Behandlung ein gezieltes Bewegungsprogramm.

Physiotherapie:

Die Physiotherapie erfolgt zunächst durch Abtasten des Pferdekörpers. Dabei werden Verspannungen, Temperaturunterschiede und Blockaden festgestellt. In der Behandlung werden dann verschiedene Massagetechniken und Bewegungsübungen angewandt. Viele dieser Übungen kann der Besitzer im Anschluss an die Behandlung fortführen um einen dauerhaften Erfolg zu erlangen. Zu den physiotherapeutischen Methoden zählen neben dem Dehnen, dem Training im Wasser, dem Einsatz von Wärme, Kälte und Licht auch Elektro- und Magnetfeldtherapie.

Osteopathie:

Durch Abtasten werden in der Osteopathie Unregelmäßigkeiten in der Muskulatur, Wärmezustände und Faszienverklebungen festgestellt. Außerdem wird die Beweglichkeit der einzelnen Gelenke überprüft. Durch geübte Handgriffe löst der Osteopath Blockaden und stellt die natürliche Beweglichkeit wieder her. Dabei wird die Behandlung als Initialzündung verstanden, die dem Körper helfen soll seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Es wird nicht „eingerenkt“, denn kein Knochen oder Gelenk wird verschoben. Festsitzende Strukturen werden gelöst. Im Anschluss an die Behandlung werden Trainingsempfehlungen für die Zeit nach der Behandlung und zur Unterstützung des Tiers gegeben.


Rehamaßnahmen im Überblick:
 

Passive Maßnahmen (Therapien, die am stehenden Pferd und manuell vom Menschen oder durch Hilfsmittel erfolgen):

 - Faszienbehandlung
 - Physiotherapie
 - Osteopathie
 - Chiropraktik
 - Lymphdrainage
 - Elektrotherapie
 - Wärme- und Kältetherapie
 - Magnetfeldtherapie
 - Homöopathie
 - Blutegeltherapie
 - Akupunktur
 - Akupressur
 
 Aktive Maßnahmen (Behandlungen, bei denen das Pferd sich selbst bewegt):

 - Laufband
 - Aquatrainer
 - Longenarbeit
 - Balancepadtherapie
 - Bewegung in der Führanlage
 - Reittraining

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