Valencia: „Es ist wie in einem Kriegsgebiet“

Foto: Privat

Grausame Bilder erreichten uns aus Valencia. Tote Pferde, Pferde, die um ihr Leben kämpfen, und Helfer, die versuchen, Leben zu retten. Nach der Schockstarre bleibt die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Betroffene Pferdebesitzer und Trainer erheben schwere Vorwürfe gegen den Turnierveranstalter, den spanischen Reiterverband und die Weltreiterorganisation FEI.

Erste Informationen zu Ausbrüchen der hochinfektiösen Herpes-Erkrankung auf dem hochdotierten spanischen CES-Turnier sickerten nach und nach durch. Aufhorchen ließen das Bekanntwerden des Ablebens der Pferde Casta Lee FRH von Tim-Uwe Hoffmann und 3Q Quadira von Tessa Leni Thillmann. Zu diesem Zeitpunkt herrschte in Valencia schon lange das absolute Chaos. Axel Milkau, Präsident des Pferdesportverbands Hannover und Geschäftspartner von dem Morsumer Ausbilder Hilmar Meyer, der mit 24 Pferden vor Ort ist und zu dessen Tross auch die beiden oben genannten Pferde gehörten, beschreibt die Situation vor Ort als „Kriegssituation“ und spricht vom „Vorhof zur Hölle“. Wo Reiter und Pferde kürzlich noch um Schleifen kämpften, ging es schnell nur noch um Leben und Tod. Von den zu Turnierabbruch am 21. Februar noch rund 450 anwesenden Pferden zeigten 130 eindeutige Krankheitssymptome. Zehn sind auf dem Turniergelände verstorben - die Dunkelziffer scheint allerdings hoch. „Zahlreiche Pferde befinden sich in Kliniken in Valencia, Alicante, Madrid und Barcelona, von dort bekommen wir nichts mit“, sagt Hilmar Meyer. „Ich habe gerade mit einem Franzosen gesprochen, der mit 15 Pferden angereist war. Alle 15 sind erkrankt, sieben davon befinden sich in einer Klinik.“

Axel Milkau, Foto: Stroscher

Hilmar Meyer, Foto: Stroscher

Es geht um Leben und Tod

 

Ebenso diffus wie die Zahl der toten Pferde stellte sich die Gesamtsituation von Anfang an dar. Bereits Anfang Februar gab es den ersten Herpesfall auf dem Gelände. Der wurde schlichtweg unter den Tisch gekehrt. „Als wir Ende Januar anreisten, schien alles wie immer“, sagt Hilmar Meyer. „Die ersten Fälle wurden vom Veranstalter verheimlicht.“ Ins Grübeln kamen er und seine Reiter erst, als die ersten eigenen Pferde fiebrig wurden. „Sie wurden ganz normal behandelt, weil wir keine Ahnung hatten, dass es sich um Herpes handeln könnte.“ Dann ging alles sehr schnell, innerhalb kürzester Zeit ging es um Leben und Tod. Niemand hatte kommuniziert, dass es möglicherweise ein Problem mit einer infektiösen Erkrankung auf dem Gelände gibt. Anwesende Reiter und Pferde rannten somit ins offene Messer und wurden zu keinem Zeitpunkt über das bestehende Risiko in Kenntnis gesetzt. „Der Veranstalter hätte das Turnier schon eine Woche früher abbrechen müssen“, ist Hilmar Meyer überzeugt. „Dann hätten wir noch eine Chance gehabt, gesunde Pferde mit nach Hause zu bringen.“ Resultat ist, dass einige Pferde ihr Leben lassen mussten und wiederum andere sich nur langsam wieder erholen - ob sie wieder als Sportpferd zum Einsatz kommen können, ist ungewiss. „Selbst, wenn wir die Pferde fieberfrei bekommen, weiß niemand, ob sie jemals wieder richtig gesund werden. Die Folgeschäden kann niemand absehen“, befürchtet der Trainer.
Diejenigen, die vor Ort waren und um das Leben der Pferde kämpften und weiterhin kämpfen, durchwandern ein Wechselbad der Gefühle: Ohnmacht wurde von Trauer und Wut abgelöst. „Die Situation vor Ort ist unvorstellbar“, sagt Axel Milkau. „Pferde sind elendig zugrunde gegangen und die Krankheitsverläufe sind dramatisch. Das ist mehr, als das normale Vorstellungsvermögen hergibt.“ Während das Team um Hilmar Meyer in Valencia vor Ort alles für die erkrankten Pferde tut, koordiniert Milkau aus Braunschweig aus alles, was nötig ist, um die Situation in Spanien verbessern zu können. „In der ersten Woche herrschte einfach nur Panik, weil viele offizielle Stellen Totalversagen gezeigt haben“, beschreibt der PSV-Präsident die Lage. „In der ersten Woche standen zwei Tierärzte für über 75 Pferde zur Verfügung. Da kann man sich vorstellen, wie sehr die Lage von Panik und Verlustängsten geprägt war, wenn um medizinisches Personal gekämpft werden musste.“ Auch Medikamente hätten nicht in ausreichender Menge zur Verfügung gestanden.

 

„Pferde sind elendig zugrunde gegangen und die Krankheitsverläufe sind dramatisch.“ – Axel Milkau

 

Mittlerweile habe sich unter den vor Ort Anwesenden ein Zusammenhalt gebildet. „Alle kämpfen gemeinsam um jedes einzelne Pferd, das sie retten können.“ Hilfen vom Verband oder der FEI gibt es jedoch immernoch keine. „Wir haben alles in Eigenregie organisiert und von Braunschweig aus riesige Medikamentenboxen einfliegen lassen, die vor Ort gefehlt haben.“ Für das Deutsche Team hat Milkau zwei Tierärzte der Klinik Lüsche auf eigene Rechnung nach Valencia geschickt.

Die Situation war so schlimm, dass Beteiligte ihre körperlichen und emotionalen Grenzen kamen und zum eigenen Schutz aus der Situation genommen werden mussten. „Wir hatten Junioren vor Ort, die wir ausgeflogen haben, um sie so gut es geht vor den schrecklichen Bildern zu bewahren“, erzählt Axel Milkau. „Wir haben Menschen aus unseren Betrieben hingeschickt, die mit der Situation besser umgehen können, um die emotionalen Schäden so gering wie möglich zu halten.“

Dass die Situation so schnell so ausarten konnte, schreibt der Unternehmer einem Totalversagen der Trilogie bestehend aus dem Veranstalter, dem spanischen Verband und der FEI zu. „Der Ernst der Lage wurde trotz des Wissensstandes nicht erkannt.“ Die ersten Fälle traten bereits Anfang Februar auf, dramatisch wurde die Lage ab dem 19. Februar, an dem eine Vielzahl an Fieberfällen zu verzeichnen waren und die ersten Pferde mit neurologischen Ausfällen zu kämpfen hatten. „Am 20. Februar wurden die ersten Pferde in Kliniken transportiert. Amtstierärzte des spanischen Verbandes kamen allerdings erst am 22. Februar aufs Gelände“, beschreibt Milkau den Ablauf der Ereignisse. „Bei 46 Pferden wurden Proben genommen, zu dem Zeitpunkt waren aber schon 75 Pferde infiziert. Bis Mittwoch, also neun Tage später, wurde nicht ein einziger Laborwert veröffentlicht.“ Auch die FEI habe bis zum Zeitpunkt unseres Gesprächs (Stand: Mittwoch, 3. März) keine Abordnung nach Valencia geschickt, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen und Krisenmanagement zu betreiben. „In der offiziellen Pressemitteilung wird von 21 Tierärzten gesprochen – das ist reinweg erfunden“, betont Milkau. In den ersten sieben Tagen hätten sich zwei Tierärzte um über 80 Pferde gekümmert. Mittlerweile seien acht Tierärzte vor Ort, plus die beiden deutschen Tierärzte. „Der spanische Verband hat dicht gemacht und keine Tierärzte von außen zugelassen. Jan-Hein Swagemakers, der zwei Tierärzte aus Lüsche einfliegen ließ, musste sich digital eine Genehmigung einholen.“

Um die Situation zu entzerren, waren zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten angefordert worden. „Dazu teilte die FEI mit, dass Boxen und Schutzschlagmatten für die Pferde mit neurologischen Problemen geliefert worden sind. Dabei handelt es sich um einen kleinen Haufen Turnmatten, der aus irgendeiner Turnhalle organisiert wurde“, sagt der Braunschweiger. Die genannten Boxen entpuppten sich als 2,50 x 2,50 Meter-Boxen eines Wanderzirkusses. Und auch die errichteten Stallzelte waren reines Flickwerk. „Sie wurden hingestellt, ohne sie zu verankern. Bei dem ersten Windstoß wäre die nächste Katastrophe passiert.“ Da die gelieferten Boxen nicht nutzbar waren, ergriffen die Helfer vor Ort selbst die Initiative und bauten frei gewordene Boxen des Veranstalters ab, um sie in einer Futterhalle wieder zu errichten. „Daraufhin entbrannte eine hitzige Diskussion mit dem Veranstalter, wer denn die Kosten für die Nutzung seiner Boxen übernehmen würde.“

 

„Gestern wurde dem top-organisierten Stallmeister gekündigt, weil er zu sehr für die Pferde kämpft.“

 

Auch Hilmar Meyer kann bestätigen, dass die spanischen Verantwortlichen nichts dafür tun, dass sich die Situation vor Ort verbessert. „Gestern wurde dem top-organisierten Stallmeister gekündigt, weil er zu sehr für die Pferde kämpft“, beschreibt er die aktuelle Lage. Mittlerweile werde auch das Futter knapp, sodass sich das Team aktuell darum bemüht, Nachschub an Heu und Stroh zu bekommen, da auch hier nicht mit Hilfe der Veranstalter zu rechnen sei. Aktuell sind immernoch 140 Pferde vor Ort.

Milkau klagt an: „Die ganze Situation hätte vermieden werden können. Durch das Totalversagen der Veranstalter und des spanischen Verbandes sitzen für mich die Schuldigen ganz klar in Valencia, wo der europäische Turniersport jetzt zum Erliegen gekommen ist.“ Er kündigt an, dass es rechtliche Konsequenzen geben wird. Und auch Hilmar Meyer sagt: „Die haben sich mit den Falschen angelegt.“ Die Betroffenen hätten sich zusammengeschlossen und wollen rechtliche Schritte einleiten. „Ein einzelner kann nichts bewirken. Aber gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass die Missstände aufgeklärt und die Verantwortlichen angeklagt werden.“ Die Zustände wurden umfassend mit Videos und anhand von Zeugenaussagen dokumentiert.

Die FEI hat indes die allermeisten Turniere in Europa gestoppt – einige laufen jedoch weiter. „Das ist einfach unverantwortlich“, sagt Hilmar Meyer. „Wer dieses Chaos hier sieht, hat nicht mehr weiter den Mut, Turnier zu reiten.“

Wie sich die Pandemielage über Valencias Grenzen hinweg noch auswirken wird, ist gänzlich ungewiss. Denn zahlreiche Pferde reisten ab ohne jegliche PCR-Tests oder die Bekanntgabe, wo sie anschließend in Quarantäne verbracht werden. Einige davon wurden auch nach Doha gebracht, wo an diesem Wochenende ein weiteres Turnier stattfindet – das die FEI nach eigener Aussage auch durchführen lassen wird. „Zwei Pferde von Sven Schlüsselburg sind in Doha positiv getestet und Pferde von Jörne Sprehe sind ebenfalls auffällig“, weiß Axel Milkau. Weitere Fälle seien in Frankreich, der Schweiz, Belgien, Italien und Spanien aufgetreten. „Da hätte der FEI-Stuart strukturiert agieren müssen, um eine Weitertragung des Virus zu verhindern.“

 

„Wer dieses Chaos hier sieht, hat nicht mehr weiter den Mut, Turnier zu reiten.“ – Hilmar Meyer

 

Für Hilmar Meyer gestaltet sich die Situation vor Ort mittlerweile glücklicherweise etwas entspannter. „Wir haben nur noch drei Pferde in der Klinik, von denen eins weiterhin durch ein Aufhängesystem stabilisiert werden muss.“ Während er einige seiner Pfleger bereits nach Hause schickte, weil die Belastung irgendwann einfach zu groß wurde, hält er selbst noch die Stellung. „Ich halte durch und kämpfe weiter.“ Unklar ist bisher auch, wie mit Pferden verfahren wird, bei denen der dritte PCR-Test negativ ausfiel. „Sie müssen anschließend 21 Tage in Quarantäne, aktuell sieht es so aus, dass sie dafür in Spanien verbleiben müssen.“

Um das weitere Management vor Ort leisten und weitere Hilfsgüter nach Valencia liefern zu können, haben sich einige Beteiligte zusammengeschlossen, den Verein Reiter helfen Reitern e.V. gegründet und einen Spendenaufruf gestartet. Wer helfen möchte, kann einen Betrag auf das Konto „Reiter helfen Reitern e.V. bei der Volksbank Brawo überweisen: IBAN DE86 2699 1066 1236 6870 00, BIC GENODEF1WOB. In dem Verein engagieren sich Tina Gerfer, Kaj Warnecke, Jenny Abrahamson, Micheline Pook, Coen van Wijlick, Barbara Berger, Holger Hetzel, Axel Milkau, Hilmar Meyer, Mike Patrick Leichle sowie weitere Pferdesportpersönlichkeiten.

 

Weiterführende Links:

https://www.reitsport-magazin.net/nachrichten-einzelansicht/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=4889&cHash=c5379f3e419e353e8daf5adfbed667e3

Link zum kompletten Interview:
https://www.youtube.com/watch?v=jViWpr_2LhM&t=244s

 

 

 

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