Fall Raggazza: ein Erfahrungsbericht
Ich habe im vergangenen Jahr meine Stute Raggazza in Beverungen-Drenke in den Stall Rinschen in Rente gestellt. Mit einem weiteren Pferd stand sie bis zum 29. Juni 2020 auf der Koppel. An dem Tag erhielt ich morgens gegen 11 Uhr einen Anruf des Stallbesitzers: „Raggazza ist weg!“. Eine Suchaktion war bereits gestartet. Ich selbst lebe weiter weg, konnte also nicht mitsuchen. Das Pferd war zwischen 9.30 und 10.30 Uhr von der Koppel zu Fuß entwendet worden. Im direkt angrenzenden Maisfeld wurden Pferdeäpfel gefunden, die meiner Stute gehörten. Dazu Fußspuren. Trotz sofort eingeleiteter Suche – keine Spur von Ragazza. Außerdem war das Weidegatter ungewöhnlich anders zugeknotet, also in jedem Fall Fremdeinwirkung. Ich habe sofort eine Online-Anzeige aufgegeben. Der Stallbesitzer und viele freiwillige Helfer fuhren stundenlang mit Autos durch die Umgebung. Am Nachmittag wurde außerdem eine Drohne mit einer Wärmebildkamera über mehrere Stunden durch das Gelände geschickt – keine Spur von meiner Stute.
Ich hatte bis nachts keinen Kontakt zu der lokalen Polizeidienststelle. Ich habe dann als erstes nach potentiellen Pferdehändlern in der Umgebung geschaut (negativ) und Rossschlächtern (ebenfalls negativ). Dann habe ich nach potentiellen Pferdemärkten in einem Umkreis von 300 Kilometern geschaut – dank Corona ebenfalls negativ. Wir haben sofort einen Handzettel konzipiert, der noch an demselben Tag an zahlreichen Stellen ausgehängt wurde. Jäger wurden benachrichtigt. Dann habe ich mich auf Facebook geäußert und einen Hilferuf gepostet. Da ich weiß, dass zahlreiche Pferde nach Polen wandern und von da aus entweder auf einen Schlachttransport gehen oder vor Ort verkauft werden, habe ich bis nachts um 1 Uhr mit Bundesgrenzschutz, Zoll und sämtlichen Grenzübergängen nach Polen telefoniert – alles negativ. Dabei habe ich herausgefunden, dass Pferdetransporte grundsätzlich nicht an innereuropäischen Grenzen kontrolliert werden – egal, ob zwei oder 20 Pferde auf dem Transporter stehen.
Hilfreich war Facebook: Darüber habe ich Kontakt zum Aktionsbündnis ProPferd sowie zu Equitrnas e.V.i.Gr. bekommen, beide mit großer Reichweite ausgestattet, die mich in den folgenden Tagen sehr unterstützt haben.
Am Morgen des 30. Juni erhielt ich erneut einen Anruf: Raggazza wurde tot im Straßengraben gefunden, angefahren und sterbend liegen gelassen, etwa 200 Meter von ihrer Weide entfernt. Anhand der Spuren konnten wir rekonstruieren dass sie nur fünf Meter von der rettenden Hofzufahrt zum Hof Rinschen entfernt in den Graben geschickt wurde. Das linke Hinterbein zertrümmert, lag sie im Straßengraben. Mit wahrscheinlich zahlreichen inneren Verletzungen robbte meine Stute noch etwa 30 Meter durch den Graben, um dort wieder herauszukommen – vergebens.
Die Polizei war vor Ort, denn jetzt wurde in einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht ermittelt. Spuren konnten gesichert werden: In der Hofeinfahrt wurden Teile einer Fahrzeugleuchte sichergestellt. Der Fahrer muss in der Hofzufahrt gedreht und dann weitergefahren sein. Es muss sich um ein Fahrzeug ab Sprinter aufwärts (LKW) gehandelt haben.
Wir haben Radio und Printmedien alarmiert, einen neuen Handzettel herausgegeben und ich habe eine Belohnung ausgesetzt. Ich habe tatsächlich einen Hinweis per Telefon bekommen, allerdings wollte die Frau anonym bleiben. Ungefähr zu der Zeit, als meine Stute gestohlen wurde, hat sie zwei blonde Frauen beobachtet, die ein Pferd vermeintlich spazieren führten. Die Beschreibung passte auf meine Stute. Aufgefallen waren sie ihr, weil das Pferd ein ungewöhnliches Halfter am Kopf trug. Sie beschrieb es als sehr hell, nur zwei Gurte, Führstrick und Halfter waren ein Teil. Das deutet auf ein so genanntes Händlerhalfter hin.
Das Verfahren wegen Pferdediebstahls wurde nach rund drei Wochen von der Staatsanwaltschaft Paderborn eingestellt. Die Ermittlungen wegen Verkehrsunfall und Fahrerflucht scheinen noch zu laufen, zumindest habe ich bisher keine Mitteilung von der Staatsanwaltschaft erhalten.
Anja Bohm