SPIRIT -FREI UND UNGEZÄHMT: Interview mit Regisseurin Elaine Bogan

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Wie haben Sie die Gelegenheit erhalten, bei SPIRIT – FREI UND UNGEZÄHMT Regie zu führen? Und was hat Sie daran gereizt?

Als SPIRIT – FREI UND UNGEZÄHMT für die Entwicklung eines Spielfilms auf dem Tisch lag, hatte ich gerade meine Arbeit beim Fernsehen beendet. Als Geschichtenerzähler ist es immer sehr wichtig, sich mit einem Projekt zu befassen, zu dem man einen persönlichen Bezug aufbauen kann, um so eine persönliche Geschichte erzählen zu können, mit welchen Charakteren oder in welcher Welt man auch arbeiten mag.

 

Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu dieser Geschichte?

Das war das allererste Projekt, das mir angeboten wurde, in dem es nicht nur um Pferde ging, sondern auch um die Beziehung zwischen einem jungen Mädchen und einem Pferd - etwas, das mir sehr nahe geht, da ich mit Pferden aufgewachsen bin. Und ich hoffe, dass sich das in der Beziehung zwischen Lucky und Spirit widerspiegelt.

 

Welche Rolle spielt das gegenseitige Vertrauen der beiden in dieser Beziehung?

Vertrauen ist das Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an die Arbeit mit Pferden als Partner denke, denn es muss eine ganz besondere Bindung mit diesem Tier aufgebaut werden. Zunächst einmal müssen Sie aus menschlicher Sicht das Gefühl haben, dass das Pferd Ihnen vertraut und Ihnen erlaubt, sich ihm zu nähern und schließlich zu reiten. Und dann, aus der Sicht des Pferdes, muss es aufhören Sie als eine potenzielle Gefahr zu sehen, denn Pferde sind instinktiv Beutetiere. In freier Wildbahn verbringen sie ihr ganzes Leben damit, vor Raubtieren zu fliehen, die versuchen, ihnen auf den Rücken zu springen. Deshalb muss ein Pferd in der Lage sein, die Bindung und das Vertrauen aufzubauen, um einen Menschen auf seinen Rücken zu lassen - was in gewisser Weise seinem Instinkt widerspricht. Ein hohes Maß an Vertrauen und Mut wird also von beiden Seiten der Beziehung verlangt.  

 

Wie helfen sich Lucky und Spirit gegenseitig?

Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen Lucky und Spirit, denn wenn wir sie kennenlernen, sind sie beide in vielerlei Hinsicht ein wenig verloren und haben sich von ihren Familien losgelöst. Indem sie sich zusammenschließen, können sie sich gegenseitig helfen, den Weg zurück nach Hause zu finden.

 

Eine weitere Bindung, die in der Geschichte immer präsent ist und sich ständig weiterentwickelt, ist die zwischen Lucky und ihrer verstorbenen Mutter, der außergewöhnlich reitenden Stuntkünstlerin Milagro Navarro, die verstarb, als ihre Tochter erst zwei Jahre alt war.

Ja, diese Bindung ist auch sehr wichtig für die Geschichte. Und ich glaube, dass einer der Schlüsselaspekte der Geschichte zwischen Lucky und Milagro Spirit ist, eben weil ihre Mutter mit Pferden arbeitete und eine besondere Verbindung zu ihnen hatte. Und obwohl Lucky ihre Milagro kaum kannte, waren sie sich in dem Moment, in dem sie Spirit traf, sofort verbunden. Von diesem Moment an beginnt Lucky aufgrund ihrer Beziehung zu Spirit langsam immer mehr Informationen über ihre Mutter zu enträtseln und eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit und zu dem, was sie ist, herzustellen. Denn Spirit ist in Luckys Leben so etwas wie das Symbol für Milagro. Ich habe das Gefühl, dass ihre Mutter während des gesamten Films immer präsent ist, auch wenn sie nicht physisch anwesend ist, denn sie ist in Luckys Herzen. Daher war es für uns als Filmemacher wichtig, diese Beziehung von Anfang bis Ende aufrechtzuerhalten.

 

Obwohl es sich um ein animiertes fiktives Werk handelt, wirken die Geschichte und die Figuren sehr glaubwürdig.

Dieser Film hatte ein Team von Leuten, die sich mit mindestens einem Aspekt der Geschichte sehr verbunden fühlten. Es war also eine große Teamleistung. Ich wusste, dass ich die Einzigartigkeit der Mensch-Pferd-Beziehung mitgestalten konnte, aber mein Co-Regisseur Ennio Torresan hat ein junges Mädchen zu Hause, das im Grunde wie Lucky ist. Dadurch brachte er eine großartige Familiendynamik in die Vater-Tochter-Beziehung ein. Alle Beteiligten von SPIRIT – FREI UND UNGEZÄHM waren entschlossen, die bestmögliche Geschichte zu erzählen und haben somit viel von ihrer eigenen, einzigartigen Persönlichkeit hineingebracht - und ich hoffe, dass das Publikum das nachempfinden kann.

 

Und obendrein macht es auch noch eine Menge Spaß.

Ich meine, wer liebt es nicht, auf Pferden durch tödliche Schluchten zu galoppieren!

 

Können Sie etwas über die außergewöhnliche Besetzung sagen, die Sie für die verschiedenen Figuren der Geschichte gefunden haben?

Wir hatten das Glück, dass die Schauspieler, die wir für die verschiedenen Figuren engagiert haben, sich im wirklichen Leben genauso anfühlten wie auf der Leinwand. Isabela Merced zum Beispiel ist sehr leidenschaftlich was ihre Kunst angeht und sie hat diese Seite an sich, die sehr mit ihrer Familie und ihrer Kultur verbunden ist. Genau dieses Gefühl hatten wir auch bei Lucky. Und das gleiche kann ich auch über die anderen Schauspieler sagen: Jake Gyllenhaal, Julianne Moore, Eiza González, Marsai Martin, Mckenna Grace... Sie alle brachten eine solche Authentizität und einen Bezug zum echten Leben in die Geschichte und ihre Figuren ein, was hoffentlich in der Stimmung des Films zu sehen ist.

 

Es ist auch eine Geschichte über Freundschaft, in deren Mittelpunkt die drei mutigen jungen Frauen stehen, die sich gemeinsam auf diese erstaunliche Reise begeben.

Es war wirklich wichtig, dass wir drei sehr einzigartige junge Frauen darstellen. Und neben Isabela hatten wir auch das Glück, Mckenna zu haben, die sich wirklich mit der lebenslustigen Figur der Abigail verbunden hat und sogar Ukulele spielen lernte. Und Marsai, deren tiefe Emotionen und logische Herangehensweise an das Leben etwas ist, das sie auch in Pru einbringt. Diese Figuren ergänzen sich gegenseitig, denn ich habe das Gefühl, dass wir das Herz in Lucky, den Verstand in Pru und den Spaß in Abigail haben. Es gibt nicht die eine Definition, was es bedeutet, ein Held zu sein, denn das kann in allen Formen vorkommen .Wir haben die Vielfalt dessen, was das bedeuten kann, durch diese drei mutigen jungen Frauen erkundet.

Auch die Beziehung zwischen Lucky und ihrem Vater ist in der Geschichte von großer Bedeutung. Jim Prescott hat einen faszinierenden Charakterbogen.

Wenn ich über Jims Charakterentwicklung nachdenke finde ich, dass es eine der größten in der Geschichte ist. Denn er war ein gebrochener Mann, der viel verloren hatte und dann in diese Art zehnjähriges Koma fiel. Seine ältere Schwester Cora war so etwas wie der Katalysator, der ihn quasi aufweckte, indem sie Lucky zurück in sein Leben brachte und ihm die Vergangenheit zur Verarbeitung in den Schoß warf. Er wusste nicht, wie man ein richtiger Vater ist, weil er beschloss, auf Nummer sicher zu gehen und kein Kleinkind in der sehr gefährlichen Wildnis aufzuziehen, in der er lebt. Als Lucky wieder in sein Leben tritt, ist er plötzlich und unfreiwillig gezwungen, sich dieser Vergangenheit zu stellen und über sie hinauszuwachsen, gerade weil seine Tochter wieder nach Hause gekommen ist. Auf diese Weise wird er zu der Person, die Lucky schließlich ihren Vater nennt und diese Rolle annimmt.

 

Tante Cora ist eine weitere wichtige Figur.

Ja, denn sie ist so etwas wie der Puppenspieler hinter dem Vorhang, der genau weiß, was vor sich geht und was jede dieser Figuren braucht. Sie ist sozusagen da, um zu vermitteln, zu unterstützen und zu helfen.

 

Und wie war es, zwei Schauspieler des Kalibers Jake Gyllenhaal und Julianne Moore in diesen Rollen zu haben?

Es war fantastisch! Man holt diese Schauspieler ins Boot, weil sie so sind, wie sie sind, und weil sie das tun, was sie tun. Es ist ein schmaler Grat zwischen der Führung von Profis und der Unterstützung ihrer Vision der Figur, und in diesem Film steckt so viel von Jake und Julianne. Ich glaube, gerade weil keiner von ihnen Erfahrung mit Animationsfilmen hatte, brachten sie einen sehr organischen und natürlichen Ton in ihr Spiel ein, der ihre Figuren glaubwürdiger machte.

 

Der Film zeigt die physischen und emotionalen Herausforderungen von Luckys Reise.

Wir wollten von Anfang an eine starke Parallele zwischen der Gefahr der physischen Umgebung und der Gefahr von Luckys emotionaler Reise ziehen. Für Lucky steht viel auf dem Spiel, sowohl körperlich als auch emotional, aber die Bewältigung dieser Hindernisse gibt ihr auch die Kraft, ihre eigene Identität zu finden.

 

Und das Ergebnis ist ein starkes, unterhaltsames und herzliches Familienabenteuer, das auch visuell beeindruckend ist.

Unser Produktionsdesigner Ennio und ich hatten einen Riesenspaß dabei, alle möglichen Referenzen aus der ganzen Welt zusammenzutragen. Und wir hoffen, dass wir eine Umgebung geschaffen haben, die nicht nur genug Atmosphäre und Raum für eine große Leinwand bietet, sondern sich auch vertraut anfühlt und den Zuschauern Lust auf ein Abenteuer macht.

 

 

Auch die Musik spielt in dem Film eine wichtige Rolle, sie ergänzt die Geschichte auf wunderbare Weise und hilft, die Erzählung voranzutreiben.

Es war von Anfang an ein wirklich großes Ziel von mir, die Geschichte nicht nur anhand des Drehbuchs zu erzählen. Wir wollten jeden einzelnen Aspekt des Filmemachens nutzen, um die Erzählung zu unterstützen, vom Wechsel der Farben bis hin zu den Soundeffekten oder der Filmmusik - die für uns ein wichtiger Teil der Erzählung war. Also baten wir unsere Komponistin Amie Doherty, für jede Figur spezielle Themensongs zu schreiben, um sie in die Geschichte einzubinden und von dort aus die Filmmusik so zu gestalten, dass sie die Emotionen der Figuren und das Geschehen in der Szene widerspiegelt.

 

Es ist lustig, wie Sie Jake Gyllenhaal, der tatsächlich ein guter Sänger ist, als Jim Prescott, der nicht das beste musikalische Gehör hat, einen Song absichtlich schlecht interpretieren lassen.

Da hat er sich richtig ins  Zeug gelegt! Und tatsächlich war das einer der Aspekte des Handlungsbogens seiner Figur, den er uns selbst vorschlug. Am Anfang des Films hören wir Milagro, wie sie das Lied ihrer Tochter vorsingt, und später singt Lucky es alleine, damit ihr Vater es endlich vor allen Leuten rausschmettern kann – So wird das Ende seines Charakterbogens gefeiert, wenn er zu sich selbst zurückkehrt und wieder der wird, der er einmal war.

 

Lucky, Pru und Abigail haben auch schöne Momente, in denen sie zusammen singen.

Dass diese Figuren im Laufe des Films Musik nutzen, um den nötigen Mut zu finden, wurde zu einem viel größeren Element des Films, als ich mir zu Beginn vorgestellt hatte. Und es sagt auch viel über mich als Person aus, denn ich bin in einem sehr musikalischen Haushalt aufgewachsen. Mein Vater hat mir das Gitarrenspiel beigebracht und jedes Mal, wenn wir eine Party feierten für die Familie gesungen. Und ich glaube, wenn man das vor einer großen Menschenmenge tun kann, dann ist man mit sich selbst im reinen - und genau das bringen wir in Momenten wie dem zum Ausdruck, als Lucky auf dem Bergkamm ist und ihre Mutter dieses Lied singt, und Abigail und Pru plötzlich mitsingen. Es ist eine Art schönes Symbol dafür, dass sie sich mit sich selbst wohlfühlen und wissen, dass sie es schaffen können, weil sie zusammen sind.

 

SPIRIT – FREI UND UNGEZÄHMT spricht darüber, wie wichtig es ist zu sein, wer wir wirklich sind, und für das zu kämpfen, was richtig ist.

Auf jeden Fall! Die beiden wichtigsten Botschaften, die das Publikum hoffentlich aus dem Film mitnehmen sind, dass es wichtig ist, den Mut zu finden, für das zu kämpfen, von dem man weiß, dass es richtig ist - auch wenn es vielleicht das Schwierigste ist, was man jemals tun muss - und dass man mutig genug sein muss, um das zu sein, was man im Inneren wirklich ist.

 

Auch der Wert der kulturellen Identität wird in dieser Geschichte hochgehalten.

Wir haben versucht, sehr respektvoll zu sein und darauf zu achten, dass die verschiedenen Hintergründe der Charaktere zum Ausdruck kommen und ihnen treu bleiben. Ein großer Teil von Luckys Reise hat damit zu tun, sich wieder mit ihrer Kultur zu verbinden, denn indem sie nach Miradero zurückkehrt und sich mit Spirit verbindet, beginnt sie, weitere Teile ihrer Geschichte und ihrer Vergangenheit zu enträtseln.

Und sie fängt nicht nur an, sich wie ihre Mutter zu verhalten, sondern sieht ihr auch ein bisschen ähnlich!

Ja, physisch wird sie zu einem kleinen visuellen Abbild ihrer Mutter, was dem Publikum hilft zu verstehen, dass dies die Person ist, die sie immer sein sollte.

SPIRIT - FREI UND UNGEZÄHMT ab 4. November Digital verfügbar. Ab 18. November auf Blu-ray & DVD erhältlich.


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